SRF News: Weshalb schneidet die Linke in der bürgerlichen Schweiz so gut ab?
Georg Lutz: Die SP profitiert stark von der Uneinigkeit im bürgerlichen Lager. Die SP steht zusammen mit den Grünen oft geschlossen einer zersplitterten bürgerlichen Vielfalt gegenüber. Die Bürgerlichen können sich auch in zweiten Wahlgängen oft nicht auf einen einzigen Kandidaten einigen. Kommt hinzu: Wenn die SP gegen die SVP antritt, dann hat sie sehr gute Chancen, den SVP-Kandidaten weit hinter sich zu lassen – wie am Wochenende in St. Gallen und Solothurn gesehen.
Bleiben wir im durch und durch bürgerlichen Kanton St. Gallen: Wieso hat sich der Gewerkschafter und Sozialdemokrat Paul Rechsteiner derart klar gegen Thomas Müller von der SVP durchsetzen können?
Rechsteiner ist national bekannt und als Bisheriger ins Ständeratsrennen gestiegen. Müller seinerseits war nicht die stärkste Kandidatur, die für die SVP in St. Gallen möglich gewesen wäre. Er konnte im zweiten Wahlgang denn auch kaum Stimmen zulegen. Insofern ist dies ein typischer Fall: Bei den Nationalratswahlen ist die SVP die stärkste Partei, doch bei den Ständeratswahlen kann sie nicht über ihr eigenes Potenzial hinaus mobilisieren Das reicht dann nicht für eine Mehrheit.
Die SVP spielt im Ständerat nur eine marginale Rolle.
Weshalb hat die SVP im Gegensatz zur SP – der anderen Pol-Partei – ein Problem bei Majorzwahlen?
Wenn die SVP allein antritt und dabei keine Unterstützung von anderen bürgerlichen Parteien erhält – was sie in den Kantonen eben oft nicht bekommt –, dann fällt es ihr schwer, für ihre Kandidaten im Volk Support zu erhalten. Innerhalb der SVP gibt es auch kaum mehr moderate Kandidaten. Weil sie die Parteienlandschaft in den letzten 20 Jahren stark polarisiert hat, profitiert die SVP bei Nationalratswahlen. Doch das führt dazu, dass bei Majorzwahlen meist eine klare Mehrheit gegen sie stimmt.
Zurück zum Erfolg der SP bei den Ständeratswahlen: Inwiefern hat die erstarkte SP im Ständerat Auswirkungen auf die Kräfteverhältnisse im Parlament?
An den neuen Mehrheitsverhältnissen im Nationalrat ändert sich dadurch ja nichts. Im Ständerat dagegen könnte die SP zusammen mit der CVP nun eine gute Mehrheit hinbekommen. Es liegt also vor allem an der CVP zu schauen, mit wem sie ein Bündnis eingehen oder punktuell die Zusammenarbeit suchen will. Die CVP behält im Ständerat also jene Rolle, die sie vor den Wahlen in beiden Parlamentskammern innehatte.
Heisst das, es wird schwieriger, in einem bestimmten Parlamentsgeschäft einen Kompromiss zu finden?
Die Mehrheits- und Stärkeverhältnisse in National- und Ständerat sind künftig unterschiedlich. Im Nationalrat wird die SVP den Ton angeben und versuchen, zusammen mit der FDP in den ihr wichtigen Dossiers Mehrheiten zu finden. Im Ständerat herrscht eine völlig andere Dynamik. Hier haben wir die CVP, die entweder mit der SP oder der FDP eine Mehrheit bekommt, die SVP dagegen spielt nur eine marginale Rolle. Die Unterschiede und Konflikte zwischen National- und Ständerat könnten deshalb zunehmen. Es könnte also schwieriger werden, Geschäfte durch beide Kammern zu bringen.
Das Gespräch führte Romana Costa.