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Wirkungslos und teuer Ohrentropfen: Gauner zocken Hörbehinderte ab

Ein teures Wunderöl soll Schwerhörigkeit und Tinnitus heilen. Das ist Humbug. Swissmedic will die Quacksalber stoppen.

Er leide an Tinnitus und reduziertem Hörvermögen im rechten Ohr, erzählt ein 79-jähriger Mann aus dem Kanton Baselland dem SRF-Konsumentenmagazin «Espresso». Deshalb sei er auch empfänglich gewesen für eine Werbung, die auf seinem Tablett aufgeploppt sei: Ohrentropfen, die seine Probleme in nur 28 Tagen lösen sollen.

Voller Hoffnung bestellt er das angebliche Wunderöl «Biostenix Sensi Oil New». Ein Verkäufer überzeugt ihn, zum «Vorzugspreis» gleich zwei Flaschen zu kaufen. Kostenpunkt: Knapp 200 Franken.

Mehrere Etappen zum «komplexen Effekt»

Das Paket kommt per Kurier. Der Kunde muss es gleich bezahlen. Das Geld ist also weg. Als Beilage ein Schreiben eines gewissen «Bruno Steinberger, Experte bezüglich Ihrer gesundheitsfördernden Kur». Er habe eine eigene Praxis in Luzern und habe schon Tausenden von Menschen mit Hörproblemen geholfen. Das Foto zeigt einen vertrauenswürdigen Herrn mit Brille und graumeliertem Bart.

Es gibt kein Mittel gegen Tinnitus und Gehörlosigkeit

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Die Vermarkter des «Biostenix»-Öl und andere dubiose Anbieter versprechen, dass dank ihren Mitteln abgestorbene Sinneszellen im Gehör wiederbelebt werden können.

Das sei Humbug, sagt Tobias Kleinjung, Spezialist für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten und Chefarzt am Zürcher Universitätsspital. Es gebe schlicht und einfach kein Wundermittel gegen Tinnitus und Schwerhörigkeit: «Die Regeneration der sogenannten Haarzellen ist seit Jahrzehnten Gegenstand einer hochkomplexen internationalen Forschung. Und ein Durchbruch ist bei weitem ist nicht in Sicht, auch wenn das eine tolle Sache wäre.»

Wer unter Hörproblemen oder Tinnitus leide komme nicht umhin, einen Arzt aufzusuchen. Dieser ermittle die Ursache für den Hörverlust oder die Hörgeräusche und wähle dann eine passende Lösung. Sprich, er sucht das passende Hörgerät. Beim Tinnitus gehe es in erster Linie darum, eine Strategie zu finden, wie man als Betroffener besser damit umgehen könne.

Der «Gesundheitsexperte» weiss: Die Menge an Ohrentropfen, die der 79-Jährige bestellt hat, reicht nicht aus, es brauche mehrere Etappen, bis der «komplexe Effekt» erreicht sei. Das würde aber nochmals etwas kosten – und zwar nicht wenig.

Jetzt realisiert der Kunde definitiv, dass ihn jemand abzocken will. «Eine Frechheit!», findet er. Und wenig überraschend: Seine Hörprobleme seien geblieben.

Fake-Professoren und ein rührseliges Märchen

«Espresso» forscht nach und stösst auf ein grosses Lügengebilde, auch dank einer Zuschrift eines anderen Hörers. Auf dessen Begleitschreiben heisst der Luzerner «Gesundheitsexperte» Richard Bürgler. Das Bild dazu ist aber genau dasselbe wie jenes von Bruno Steinberger.

Mann und ältere Frau lächeln in die Kamera
Legende: Auf der Internetseite rührt der «Professor» auch mit «seiner Mutter» die Werbetrommel. Screenshot Promobestoffer24.com

Die beiden Herren gibt es selbstverständlich nicht. Genauso wenig wie die Erfinder des Mittels. Mal ist es «Prof. Utri Lehner», mal «Prof. Karl Auer». Auch dort: Zweimal dasselbe Foto – wohl aus einem Online-Fotoarchiv.

Und beide tischen ein rührseliges Märchen auf von einer schwerhörigen Mutter, die dank dieser Ohrentropfen geheilt werden konnte.

Hintermänner sind geschickt verschleiert

Ein frecher Fake, aber offenbar lässt sich damit Geld scheffeln. Im Netz wird nämlich schon länger vor der Masche gewarnt. Das Produkt ändert auch immer wieder mal seinen Namen.

Wer wirklich dahintersteckt, wird geschickt verschleiert. Eine Anfrage unter der Telefonnummer auf dem Beiblatt – mit Berner Vorwahl 031 – läuft ins Leere. Über E-Mail kommt auf die Fragen von «Espresso» nur eine Standardantwort.

Swissmedic forscht nach

Die schweizerische Zulassungs- und Aufsichtsbehörde Swissmedic prüft das Mittel für «Espresso». Ruth Mosimann, verantwortlich für die Kontrolle von illegalen Arzneimitteln, stuft es als «fragwürdig und unseriös» ein. Dies vor allem auch wegen des falschen Heilsversprechens.

Die Behörde will nun weitere Nachforschungen anstellen. Eine Spur habe man schon, sagt Mosimann, sie führe nach Polen. Man wolle deshalb den Kontakt zu den dortigen Behörden suchen. Ziel sei es, die Anbieter zu stoppen oder zumindest ihre Website zu sperren.

Espresso, 08.02.2021, 08:13 Uhr

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