Eine Viertelstunde vor Mitternacht lässt die UBS die Bombe platzen. Sie zahlt 780 Millionen Dollar an die USA, und sie liefert den US-Behörden Kontoinformationen von US-Kunden.
In der Medienmitteilung an diesem 18. Februar 2009 muss der damalige Konzernchef Marcel Rohner eingestehen: «Es ist offensichtlich, dass wir als Organisation Fehler gemacht haben und unsere Kontrollsysteme unzulänglich waren.»
Das ist auf den Tag 10 Jahre her. Knapp einen Monat später, am 13. März 2009, beschliesst die Schweizer Regierung auf internationalen Druck, den OECD-Standard bei der Amtshilfe in Steuersachen zu übernehmen.
Das Ausland machte schon vor über 100 Jahren Druck
Nicht dass das Bankgeheimnis vorher unbestritten gewesen wäre. Schon 1906 und 1907 habe es grosse Konflikte zwischen französischen und Schweizer Behörden gegeben, sagt der Historiker Sébastien Guex von der Universität Lausanne.
«Die Franzosen sagten: Unsere Steuerflüchtlinge gehen zur Waadtländer Kantonalbank oder zur UBS – gebt uns Informationen dazu. Schon 1906 wollte man den automatischen Informationsaustausch.»
Sébastien Guex liegen die historischen Protokolle der Bankiervereinigung vor. Sie zeigen, dass auch die Banker selbst früh wussten: Wir bewegen uns auf dünnem Eis. 1934, im Jahr, in dem das Bankgeheimnis ins Gesetz geschrieben wurde, spricht der Präsident der Schweizerischen Bankiervereinigung von einer «sehr heiklen Angelegenheit».
75 Jahre später ist Stefan Tobler beim Ende des Bankgeheimnisses hautnah dabei. Von 2008 bis 2016 arbeitet er für die Bankiervereinigung, zuletzt als Leiter Strategieentwicklung. «Der Kampf um das Schweizer Bankgeheimnis. Eine 100-jährige Geschichte von Kritik und Verteidigung», heisst das Buch, das Tobler im April herausgeben wird (siehe Interview).
Wie weiter – 10 Jahre nach dem Anfang des Ende des Bankgeheimnisses? Die angenehmen Zeiten gehören der Vergangenheit an.
Ermes Gallarotti, Bankenspezialist der NZZ, beschreibt sie so: «Da hat man mit durchschnittlichen Mitarbeitern und durchschnittlichen Leistungen überdurchschnittliche Gewinne erzielt. Das Geld ist von selbst in die Schweiz gekommen. Das ist jetzt vorbei.» Heute sind nicht nur die Margen der Banken kleiner, auch die volkswirtschaftliche Bedeutung der Banken sinkt.
Bedeutung der Banken sinkt markant
Die neue Realität in Zahlen: Die Schweizer Banken steuern noch 9 Prozent zum Brutto-Inlandprodukt der Schweiz bei (Angaben von 2017). Zehn Jahre vorher, also vor Ende des Bankgeheimnisses, waren es fast 13 Prozent.
Weitere Zahlen: Aus 124'000 Angestellten im Schweizer Finanzsektor sind in den letzten zehn Jahren noch 105'000 geworden. Innerhalb von zehn Jahren schrumpfte die Anzahl Banken von 330 auf 253.
Kleine Konkurrenten mit grossem Potenzial
Und die nächste Hürde steht schon: Neue, digitale Konkurrenten, die rasch viele Kunden anlocken.
Beispiel Revolut: Die britische App-Bank hat in der Schweiz je nach Schätzung zwischen 50'000 und 90'000 Kunden. Weltweit hat Revolut inzwischen über 3 Millionen Kunden. Ein Mitgründer von Revolut war übrigens einst Händler bei der Credit Suisse. Oder Beispiel N26: Das deutsche Start-Up hat für dieses Jahr den Eintritt in den Schweizer Markt angekündigt.
Zudem dürften die digitalen Riesen bald in den Finanzbereich dringen: die chinesische Handelsplattform Alibaba aus China mit Alipay und der US-amerikanische Computerhersteller Apple mit Apple Pay.
Noch ist der Leidensdruck zu tief
Und die Schweizer Banken? «Sie müssen viel effizienter werden, sie müssen mehr Technologie nutzen», sagt NZZ-Mann Ermes Gallarotti.
Er macht den Vergleich mit der Autoindustrie: «Diese hat alles automatisiert und digitalisiert. Bei den Banken ist das nicht der Fall.» Der Leidensdruck sei bisher noch zu wenig hoch.
UBS: «Kernbanking wird bei den Banken bleiben»
Auf die Konkurrenz durch Start-Ups angesprochen, räumte Sabine Keller-Busse, Geschäftsleitungs-Mitglied der UBS, jüngst in «NZZ Standpunkte» ein, dass es etwa beim Bezahlen im Online-Shop durchaus Konkurrenz gebe; da müsse es für den Kunden in erster Linie schnell gehen.
Anders beurteilt die Top-Managerin die Lage, wenn es um die grossen Fragen geht, etwa «Wie sichere ich meine Kinder ab? Beziehe ich Pensionskassen-Gelder?» oder «Was mache ich mit der Hypothek?».
«Das sind Dinge, bei welchen viele unserer Kunden und viele Menschen nach wie vor sagen: Es geht um meine Zukunft, da möchte ich auch ein Gesicht sehen», so Keller-Busse. Und weiter: «Das Kernbanking, bei dem es um die Zukunft geht, das wird bei den Banken bleiben».
Berater: Man sieht die Bedrohung nicht – noch nicht
Die Frage steht im Raum: Können Start-Ups wie Revolut und N26 die Schweizer Grossbanken wirklich in Bedrängnis bringen?
Daniel Diemers, Strategieberater bei PWC, sagt es so: «Wenn man auf einen spezifischen Markt eingeht, sieht man die Bedrohung vielleicht noch nicht. Das kann aber sehr, sehr schnell gehen».
Die Geschäftsmodelle der Start-Ups liessen sich sehr schnell skalieren. Sie könnten heute 2 Millionen Kunden haben, in einem Jahr 20 Millionen, in ein paar Jahren 200 Millionen Kunden. «Und dies, ohne dass sie massiv neue Gebäude oder Mitarbeiter einstellen müssen, weil das Geschäftsmodell eben sehr stark digitalisiert ist», so Diemers.
Schweizer Banken seien noch zu wenig radikal, zu langsam, sagt er, der regelmässig mit den Führungsetagen von Schweizer Banken zusammensitzt: «Die Verwaltungsräte in der Schweiz sind eher bei den älteren Semestern. Wir haben wenige bis gar keine Digital Natives in den Verwaltungsräten.»
Es brauche Diversität im Denken, so der Berater. Und es sei wichtig, dass der Dialog um Digitalisierung bereits im Verwaltungsrat stattfinde.