Zehn Jahre ist es nun her: Am 16. Oktober 2008 musste die grösste Bank der Schweiz vom Staat gestützt werden – mit Dutzenden von Milliarden!
Daniel Zuberbühler war als Direktor der Bankenaufsicht massgeblich daran beteiligt, das Massnahmenpaket auszuarbeiten.
Damals musste alles streng geheim passieren; heute kann er frei darüber reden.
SRF: Dieses Milliardenpaket – war das eine ‹Rettung›, wie wir Medien das gern bezeichnen, oder eine ‹Stabilisierung›, wie es der damalige UBS-Verwaltungsratspräsident Peter Kurer nannte?
Die offizielle Bezeichnung war ‹Stabilisierung›, um dem etwas die Dramatik zu nehmen. Aber es war klarerweise eine Notrettung.
Am 2. Oktober 2008 – exakt zwei Wochen vor dem denkwürdigen Tag – hatte Kurer noch betont, wie stabil die UBS sei: mit genügend Kapital- und Liquiditätspuffern. Zuckten Sie damals zusammen, als Sie das hörten?
Ich fand es ein bisschen dick aufgetragen, aber grundsätzlich richtig, dass er nicht durchsickern lässt, dass da eine Rettung in Planung ist. Das hätte einen Bank-Run ausgelöst: Kunden hätten also massiv Geld von ihren UBS-Konten abgezogen.
Von aussen könnte man das nachträglich auch so interpretieren, dass hinter den Kulissen ein Machtkampf zwischen Behörden und UBS im Gange war…
... Nein, das war nicht der Fall. Wir haben die UBS am 21. September 2008 in die Pläne eingeweiht und gesagt «ihr müsst euch jetzt darauf vorbereiten». Die hatten zuerst etwas Mühe damit; sie glaubten noch, sich selbst retten zu können. Aber als die Befehlsausgabe mal klar war, haben sie mitgespielt: Es gab keinen Machtkampf.
Die Schweiz hat verschiedene Lehren gezogen: Die Bankenregulierung wurde verschärft, der Einlegerschutz ebenfalls. Bonus-Anreize wurden überarbeitet. Ist die Schweiz nun besser gewappnet gegen Krisen?
Die Banken sind heute in einem stabileren Zustand als vor zehn Jahren: Mehr und besseres Eigenkapital. Vorschriften fürs Liquiditätspolster – national und international.
Und das so genannte «Too big to fail»-Gesetz wurde eingeführt. Da hat man sehr viel gemacht. Aber das Eigenkapital-Polster ist noch immer zu dünn.
Mit Ihrer Forderung nach noch dickeren Kapitalpolstern scheinen Sie ein einsamer Rufer in der Wüste zu sein.
Nein. Unter Fachleuten – ausser natürlich bei der UBS – ist man sich ziemlich einig, dass vor allem die Leverage Ratio (Anm.: Verhältnis Eigenkapital zu Bilanzsumme) für die Grossbanken viel zu bescheiden ist. Sie müssen nur 5 Prozent Eigenkapital haben. Historisch aber hatten die Banken 20 Prozent und waren vor 100 Jahren trotzdem profitabel.
Die inländischen Banken haben heute im Durchschnitt 7 bis 8 Prozent, einzelne über 10 Prozent. Somit wäre es nicht zu viel verlangt, wenn die grössten Banken 10 Prozent hartes Eigenkapital haben müssten. Doch davon sind sie weit entfernt.
Verstehen Sie das Gegenargument, dass die Schweiz von ihren Banken nicht das Doppelte verlangen könne wie das Ausland, weil die Schweizer Grossbanken mit ausländischen Banken im Wettbewerb stehen?
Internationale Standards sind immer Kompromisse. Es gab Leute, die wollten überhaupt nichts machen. Das kann für uns nicht der Massstab sein. Die kleine Schweiz hat mit ihren beiden Grossbanken ein «Too big to fail»-Problem im Quadrat. Wir müssen eindeutig mehr machen als beispielsweise die USA.
Was bleibt Ihnen persönlich aus der ganzen UBS-Rettungsgeschichte vom 16. Oktober 2008?
Die negative Erkenntnis ist natürlich, dass das niemand hat kommen sehen: Wir nicht und die andern nicht. An sich war man dort etwas blind. Sehr positiv in Erinnerung bleibt mir hingegen, wie wir diese Rettung zustande gebracht haben. Das war wirklich eine Massarbeit, und wir konnten perfekt alles geheim halten.
Die Regierung, die immer wieder als schwach kritisiert wird, hat bestens funktioniert. Für mich war das ein positives Erlebnis, wie wir diese Krisenfolgen beheben konnten, und wie wir Punkto Regulierung Fortschritte erzielen konnten – auch wenn’s noch nicht genug ist.
Das Interview führte Eveline Kobler.