107 Franken pro Kopf und Jahr. Das klingt nicht nach einer grossen Summe, und dennoch geben die Konsumentinnen und Konsumenten in keinem Land so viel Geld für Fairtrade-Produkte aus wie in der Schweiz. Die Umsätze steigen kontinuierlich.
Soziologe Patrick Schenk forscht an der Universität Luzern zum Fairtrade-Konsum. Er sieht die Grossverteiler als wichtiges Element für den Erfolg des Labels in der Schweiz: «Fairhandelsorganisationen haben es verstanden, ihre Produkte früh in Supermärkten verfügbar zu machen. Das erleichtert es den Konsumenten und Konsumentinnen natürlich, solche Produkte zu kaufen.»
In Deutschland etwa seien Fairtrade-Produkte lange ausschliesslich in Weltläden erhältlich gewesen. Das machte die potenzielle Kundschaft deutlich kleiner. Ohne Coop und Migros hätte sich Fairtrade in der Schweiz nicht so schnell durchgesetzt.
So sagte 1992 bereits Erich Gugelmann, Vizepräsident bei Migros: «Wir sind intensiv bearbeitet worden von der neuen Stiftung Max Havelaar in der Schweiz.» Das erste Produkt, Kaffee aus fairem Handel, fand schnell in die Regale der Grossverteiler.
Fairtrade Max Havelaar garantiert den Produzentinnen und Produzenten einen Mindestpreis. Hinzu kommt eine Prämie, die sie in Weiterentwicklung investieren können.
Weltweit grösstes Fairtrade-Sortiment bei Coop
Heute hat Migros rund 150 Produkte mit Fairtrade-Label im Sortiment, bei Coop sind es etwa 1300, laut Fairtrade Max Havelaar mehr als nirgendwo sonst. Coop ist denn auch eines der Unternehmen, das am 22. September mit dem ersten Fairtrade-Award der Schweiz ausgezeichnet worden ist – verliehen von Fairtrade Max Havelaar.
Fairtrade Max Havelaar erzielte im vergangenen Jahr den grössten Umsatz mit Schokolade. Danach folgten Bananen und Kaffee. Das grösste Umsatzwachstum erzielte Fairtrade-Gold. Es legte um mehr als 400 Prozent zu.
Zu diesem Anlass ist Sandra Uwera angereist. Die Leiterin von Fairtrade International, das seinen Sitz im deutschen Bonn hat, ist in Ruanda geboren und arbeitet von Kenia aus. Ganz bewusst: Sie wolle näher bei jenen sein, um die es ginge – bei den Kleinbauern und -bäuerinnen im globalen Süden. Sie sagt: «Es ist wichtig, zu verstehen, dass diese Produzenten sehr verletzlich sind und dass sie in der Regel von den Diskussionen ausgeschlossen sind, die ihren Lebensunterhalt direkt betreffen.»
Entwicklungshilfe ist keine Lösung
Sie hält denn auch nichts von der Idee der Entwicklungshilfe. «Mit Hilfen die Kapazitäten bei den Erzeugern vergrössern zu wollen, ohne sie wirklich zu verstehen, kann keine Lösung sein. Man geht nur von sich selbst aus und nicht von denen, die es betrifft. Wir müssen das Konzept der Entwicklungshilfen aufgeben und zu Partnerschaften übergehen. So können wir gemeinsame Lösungen erzielen.»
Allerdings hat der Ansatz von Fairtrade auch Kritiker. Der Konsumentenschutz kritisiert etwa, dass nicht 100 Prozent Fairtrade drin sein muss, wo Fairtrade draufsteht.
Geschäftsleiterin Sara Stalder sagt: «Die Label von Fairtrade Max Havelaar garantieren nicht hundertprozentig, dass wirklich nur Fairtrade drin ist. Manchmal ist es auch nur ein Bestandteil, der Fairtrade gehandelt ist. Und das ist eigentlich eine Irreführung der Menschen, die auch wirklich Fairtrade-Produkte unterstützen wollen.»
In Fairtrade ist nicht immer Fairtrade drin
Der Hintergrund: Fairtrade gestattet etwa bei Kakao und Zucker, dass sie mit konventionellen Produkten gemischt werden. Nur mit dem so genannten Mengenausgleich könnten möglichst viele Kleinbauern am Fairtrade-System teilnehmen.
Es besteht die Möglichkeit, dass Kundinnen und Kunden eine Packung Zucker erstehen, auf der das Fairtrade-Logo prangt, in der aber nicht ein Körnchen Zucker aus fairem Handel stammt.
Auch gibt Sara Stalder zu bedenken, dass das Label oft falsch verstanden wird, und zwar als Bio-Label. Fairer Handel und biologische Herstellung haben aber nichts miteinander zu tun – auch wenn sie oft gemeinsam daherkommen (s. Box).
Kinderarbeit und Abholzung nicht ausgeschlossen
Kritik kommt auch von der Menschenrechtsorganisation Public Eye. Laut dem Medienverantwortlichen Oliver Classen sei Fairtrade kein Garant, «dass die zertifizierten Produkte ohne Kinderarbeit oder Abholzung hergestellt werden.»
Zudem kritisiert er den Mindestpreis. Dieser orientiere sich am Weltmarktpreis und sei zu gering. Er schreibt: «Das Problem bei FT-Labels ist, dass sie im bestehenden System agieren und die Machtungleichgewichte und unterschiedlichen Verhandlungspositionen nicht wirklich verschieben.»
Fairtrade Max Havelaar entgegnet in einer Stellungnahme, dass der Fairtrade-Mindestpreis und die Fairtrade-Prämie wichtig seien für Bäuerinnen und Arbeiter, «was durch Wirkungsstudien sehr gut belegt ist», so Mediensprecher Lukas Krebs. «Gerade in Zeiten von tiefen Weltmarktpreisen bietet der Fairtrade-Mindestpreis ein entscheidendes Sicherheitsnetz.»
Auch gebe es viele Projekte auf freiwilliger Basis, «welche zusätzliche Investitionen und eine gesteigerte Wertschöpfung im Land und für die Erschliessung lokaler Märkte beinhalten». Diese seien ebenfalls eine Leistung des Fairtrade-Systems.
Keine Organisation und kein Zertifizierungssystem kann zu 100 Prozent gewährleisten, dass ein Produkt frei von Kinderarbeit ist.
Was Kinderarbeit betrifft, so heisst es: «Keine Organisation und kein Zertifizierungssystem kann zu 100 Prozent gewährleisten, dass ein Produkt frei von Kinderarbeit ist. Fairtrade verpflichtet sich jedoch dazu, durch seine Standards und die Mitarbeitenden der Produzentennetzwerke vor Ort, Kinder zu schützen. Hierbei liegt ein Schwerpunkt auf Prävention und Aufklärung.»
Studien zeigen auch, dass viele Kleinbauern nicht genug Geld zum Leben haben – Fairtrade hin oder her. Frage an Sandra Uwera, ob sich dort inzwischen etwas verbessert habe, nachdem die Nachfrage kontinuierlich steige. «Ja, es hat sich etwas gebessert. Aber ich möchte betonen, dass wir in engen Grenzen wachsen. Wir wollen Probleme lösen, um die sich ansonsten niemand kümmert.»
Das System von Fairtrade International ist nicht über alle Zweifel erhaben. Aber ohne solche Initiativen sähe es für viele Produzenten aus dem globalen Süden noch schlechter aus. Das gestehen auch Sara Stalder vom Konsumentenschutz und Oliver Classen von Public Eye dem inzwischen 30 Jahre alten Label zu.