Die Kosten steigen. Die Erträge sinken. Der Wettbewerb um Patienten und entsprechende Operationen wird härter. Die Spitäler müssen unternehmerischer handeln. Was bislang vor allem die Finanzwelt praktizierte, ist mittlerweile Alltag in Schweizer Spitälern. Mit variablen Lohnanteilen, sprich Boni, sollen Chefärzte und leitende Ärzte dazu gebracht werden, entsprechende Operationszahlen und damit Umsatzziele zu erreichen. Eine fragwürdige Regelung, die in Deutschland verboten ist. Dort untersagte das Parlament, mengenbezogene Lohnanreize in Arbeitsverträgen vorzuschreiben.
Ärzte-Organisationen kritisieren die Praxis
Gemäss einer Umfrage der ärztlichen Standesorganisation FMH macht die leistungsabhängige Prämie bei Chefärzten in der Schweiz im Durchschnitt einen Viertel des Lohnes aus. Nach Angaben des Universitätsspitals Zürich entsprechen die variablen Lohnkomponenten bei den Ärzten rund 26 Prozent der Gesamtbezüge. Von zielbezogenen Bonusvereinbarungen will das Unispital aber nichts wissen.
Jürg Unger-Köppel, Vorstandsmitglied FMH und Chefarzt der Psychiatrischen Klinik Königsfelden, kritisiert generell falsche Anreize: «Wer Chefarzt werden will, der hat eine lange Zeit hinter sich. Und hat sich endlich durchgesetzt. (…) Dann wird ihm ein Vertrag vorgelegt, der besagt, dass er jetzt Boni akzeptieren müsse. Dass meine Kollegen da nicht mehr ‹Nein› sagen wollen, ist nach einer so langen Zeit sehr verständlich.»
Auch der Verein der Leitenden Spitalärzte der Schweiz, VLSS, beobachtet die Situation mit Unbehagen. Er schreibt auf Anfrage: «Unsere Mitglieder stecken in einer Zwangslage. Als Angestellte müssen sie zunehmend nach wirtschaftlichen Kriterien entscheiden, die nicht zwingend dem medizinisch Notwendigen entsprechen.»
Umfrage zu Ärzte-Boni
Nur vier von «ECO» angefragte Spitäler geben an, Boni auszubezahlen: Die Kantonsspitäler Aarau und St. Gallen, die Solothurner Spitäler, sowie das Spital Bülach. Variable Lohn-Komponenten resp. Honorare aus privatärztlicher Tätigkeit bezahlen gemäss Umfrage die Universitätsspitäler Zürich und Basel, sowie das Berner Inselspital. Keine Angaben wollten das Zürcher Limmattal-Spital, das Kantonsspital Winterthur, das Kantonsspital Baden sowie das Spital Thurgau machen. |
Damit haben alternative Behandlungsmethoden einen schweren Stand. Jürg Schmidli, Chefarzt Gefässchirurgie an der Universitätsklinik am Inselspital Bern, kritisierte kürzlich in der NZZ: «Wenn der Spezialist jedoch nur jene Behandlung empfiehlt und anbietet, die er selbst durchführen kann, werden in der Sprechstunde mögliche alternative Behandlungen gar nicht mehr erwähnt.» Das Nachsehen hat der Patient.
80 Prozent mehr Herzkatheter-Eingriffe
Wie sich die Zahl häufiger Operationen in Schweizer Spitälern entwickelt haben, zeigen die Erhebungen des Bundesamtes für Statistik.
Ein krasses Beispiel liefern die Zahlen der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie. Im Jahre 2002 führten Kardiologen rund 13‘000 minimalinvasive Eingriffe durch, bei denen sie Herzgefässe über einen Katheter behandelten. Ende 2014 waren es bereits 23‘711 Eingriffe. Immer mehr Krankenhäuser spezialisierten sich in diesem Zeitraum auf solche Operationen.
Kampf um Spezialisten
Rolf Gilgen ist CEO des Regionalspitals Bülach. Zwar arbeitet auch das Krankenhaus Bülach mit Boni-Anreizen. Sie sind aber nicht an Operationszahlen gebunden, sondern an das Erreichen eines vorgegebenen Betriebsgewinnes. Die Boni betragen höchstens fünf Prozent des Grundlohnes.
Im vergangenen Jahr zahlte das Spital 480‘000 Franken aus. Davon profitierten 40 Personen: Nicht nur leitende Ärzte, sondern auch Management und Pflegekader. «Es geht nicht darum, dass man Umsatz bolzt, denn das führt zu einer Überversorgung», sagt Rolf Gilgen. «Es ist eindeutig erwiesen, dass man dann Untersuchungen macht, nur damit man mehr verdient. Das kann es nicht sein.»
Dennoch spiele das Bonussystem in manchen Spitälern einen wichtige Rolle bei der Suche nach begehrten Spezialisten: «Wenn man gewisse Leistungen anbieten will als Spital, um konkurrenzfähig zu bleiben, dann kommt man natürlich unter einen gewissen Druck», meint Rolf Gilgen.