Temu ist mit seiner Werbung in sozialen Netzwerken wie Instagram oder Tiktok auffallend präsent. «Der Onlinehändler wurde in den USA gegründet, gehört aber einer Holding aus China und möchte möglichst schnell neue Kundinnen und Kunden gewinnen», sagt Johanna Gollnhofer von der Universität St. Gallen. «Für Temu ist die offizielle Zielgruppe eine digital affine Kundschaft, die sich gewohnt ist, etwas digital zu kaufen, die aber nicht zu viel Geld ausgeben will. Dadurch ist es automatisch eine jüngere Zielgruppe.»
Temu bietet ein Shoppingerlebnis, das dem Shoppingerlebnis in einem normalen Laden viel ähnlicher ist als bei anderen Onlineshops.
Ist die Kundschaft einmal im Onlineshop, fängt das Marketing erst richtig an. «Was Temu macht, nennt man Marketing Discovery Commerce. Temu hat eigentlich die Logik von Social Media übernommen.» Das heisst, im Onlineshop sieht man immer wieder neue Produkte. «Von neuen Produkten soll man inspiriert werden. Und darum bietet Temu ein Shoppingerlebnis, das dem Shoppingerlebnis in einem normalen Laden viel ähnlicher ist als bei anderen Onlineshops.»
Kurzfristige Rabatte
Ausserdem lernt ein Algorithmus, was dem Kunden oder der Kundin gefällt und passt die Produktvorschläge laufend an. Das gibt es in anderen Onlineshops zwar auch schon, doch bei Temu würden die Kundinnen und Kunden noch viel stärker dazu verleitet, Produkte zu kaufen, die sie eigentlich gar nicht gesucht hätten, sagt Johanna Gollnhofer.
Gleichzeitig versucht Temu, die Kundinnen und Kunden mit Tiefstpreisen und Rabatten, die nur kurzfristig gültig sind, zum Kaufen zu bewegen. Es gibt einen Kugelschreiber für 1.11 Franken, ein Handy-Ladekabel für 2.79 oder einen Lippenstift für 1.34 Franken. Nichtregierungsorganisationen stehen dem Onlinehändler deshalb kritisch gegenüber.
Die günstigen Preise fördern eine Konsum-Wegwerfmentalität, die aus ökologischer Sicht hochproblematisch ist.
David Hachfeld von der Nichtregierungsorganisation Public Eye sagt: «Das Risiko bei diesen Plattformen ist, dass sich Menschen zu Überkonsum verleitet fühlen. Ein Produkt kostet nur wenige Franken oder manchmal auch nur Rappen. Das fördert eine Wegwerf-Konsumentalität, die aus ökologischer Sicht hochproblematisch ist.»
Dazu komme: Bei so tiefen Produktpreisen seien die Arbeitsbedingungen in den Herstellungsbetrieben meist schlecht. Public Eye fordert deshalb eine Transparenzpflicht. Händler müssten offenlegen, wie ihre Zulieferer mit Menschenrechten umgehen. Da hinke die Schweiz anderen europäischen Ländern hinterher.
Rabattschlacht
Auch Schweizer Onlinehändler stehen Temu krisitsch gegenüber. Temu sei für einige hiesige Onlineshops durchaus eine Konkurrenz, gerade im tieferen Preissegment und bei Kundinnen und Kunden, die nicht auf die Qualität achteten, sagt Bernhard Egger, Geschäftsführer des Schweizer Handelsverbandes: «Die Schwierigkeit ist die Rabattschlacht. Teilweise sind die Preise die Einkaufspreise von Schweizer Händlern.»
Temu kann – wie andere chinesische Firmen – Kleinpakete sehr günstig nach Europa schicken, dank einer alten Regelung des Weltpostvereins. Die Preise werden bis 2025 nun allerdings schrittweise nach oben angepasst. Ob Temu längerfristig Fuss fassen kann in der Schweiz, ist offen. Es hängt auch davon ab, ob es der Plattform gelingt, Kundinnen und Kunden trotz Kritik von Nichtregierungsorganisationen auf der Plattform zu halten.