Das Thermometer zeigt minus 12 Grad. Während die anderen WEF-Teilnehmer in warmen Hotelbetten liegen oder Ferienwohnungen gemietet haben, ziehen Andrew Funk und seine zwei Begleiter ein Tipi für die Nacht vor.
«Wir sind hier, um Obdachlosen weltweit eine Stimme zu geben», sagt der in Barcelona lebende US-Amerikaner. Er war selbst ein halbes Jahr lang obdachlos, nachdem seine Online-Firma pleite gegangen war.
Ich wusste nicht, wie man bettelt.
Andrew Funk kam bei Freunden unter, aber nicht sofort: «Die ersten 24 Stunden verbrachte ich tatsächlich auf der Strasse. Es war furchtbar. In der Nacht versuchte ich zu betteln. Eine schreckliche Erfahrung, weil ich nicht wusste, wie es geht. Ich stellte einen Hut vor mir auf und gab automatisch vor, dass es mir elend ging. Und dann ging es mir tatsächlich elend.»
Er und seine zwei Mitstreiter der Organisation «Homeless Entrepreneur» halten das World Economic Forum für die ideale Bühne. Andrew Funk sagt: «Wir wollen hier einerseits aufmerksam machen, andererseits suchen wir Partnerschaften und Investoren, um unsere Organisation auf stabile Beine zu stellen.»
Obdachlose in der Schweiz? Unbekannt
In der Schweiz ist Obdachlosigkeit auf der Strasse laut Caritas ein marginales Problem. Es gibt keine offiziellen Zahlen. Menschen ohne Zuhause stehen in der Schweiz landesweit rund 800 Notschlafplätze zur Verfügung.
Das Bundesamt für Statistik erfasst einzig Personen, die von Armut betroffen sind (7,5 Prozent oder 615'000 Personen; Armutsgrenze: 2247 Franken pro Monat und Person).
Doch Obdachlose stammen längst nicht nur aus dieser Bevölkerungsgruppe. Eine Trennung, ein Unfall oder ein Todesfall können schnell eine Abwärtsspirale in Gang setzen – auch bei Menschen, die zuvor in soliden Verhältnissen gelebt haben.
Dies ist auch ein Anliegen der Davoser «Homeless Entrepreneurs»: Obdachlosigkeit habe viele Formen. Sie beträfe auch Personen, die in Notunterkünften schlafen oder die zeitweise bei Freunden oder Familie unterkommen. Menschen auf der Strasse seien nur am augenfälligsten.
Es ist wichtig, die in Davos versammelte Politik- und Wirtschaftselite auf ihre Verantwortung hinzuweisen.
Caritas Schweiz kann sich gut vorstellen, dass eine solche Aktion – zumal sie von Betroffenen kommt – einige WEF-Teilnehmer nachdenklich stimmt und zum Handeln bewegen kann.
Auf Anfrage von SRF News schreibt der Sprecher des Hilfswerks, Stefan Gribi: «Es ist wichtig, die in Davos versammelte Politik- und Wirtschaftselite auf ihre Verantwortung hinzuweisen, die sie in einer in Reich und Arm auseinanderdriftenden Welt haben. Von Obdachlosigkeit Betroffene verschaffen sich hier Sichtbarkeit.»
Caritas selbst ist nicht in Davos. Das WEF sei eine zu internationale Bühne für den Schweizer Fokus von Caritas. Man führe im Gegenzug am Freitag eine sozialpolitische Tagung in Bern durch, «als Kontrapunkt».