1700 Kilometer östlich der Schweiz türmen sich Kleiderberge, als hätte eine Grossstadt ihre Schränke ausgemistet. Mittendrin steht Elina Valkova und findet: «Nicht gerade der letzte Schrei, dafür ist die Bluse brandneu.» Das Stoffstück ist durchscheinend schwarz, aber trotzdem unsinnlich. Es kratzt. Das Etikett hängt noch dran. 24.99 Franken hat das Stück gekostet.
Eigentlich sollte die Bluse gar nicht in Elina Valkovas grosser, lauter Halle liegen. Denn das Geschäft der Handelsleiterin von Texaid im bulgarischen Kostinbrod sind Altkleider. Am liebsten aus der Schweiz. «Schauen Sie, wir haben ein grosses Glück, in dem Moment kommt wieder ein Lastwagen mit Schweizer Kleidern», sagt sie. Der Lastwagen spuckt dutzende Migros- und Coop-Säcke aus.
Texaid hat für diese Säcke mit gebrauchten Kleidern in der ganzen Schweiz Container aufgestellt. Texaid – einst gegründet von Schweizer Hilfswerken, heute ein Zusammenschluss mit einer deutschen Firma – verkauft den weggegebenen Stoff weiter.
Die Menschen in der Schweiz haben einfach mehr Stil.
«Schweizer Kleider sind die besten. Die Qualität ist viel besser als bei den Deutschen», sagt Handelsleiterin Valkova. «Die Menschen in der Schweiz haben einfach mehr Stil.»
Den Schweizer Stil würdigt man hier aber nur Sekunden lang. Zwölf junge Frauen an Tischen werfen die Kleider blitzschnell auf verschiedene Stoffberge. Das Lacoste-Shirt zu den begehrenswerten Marken, das Fussballtrikot für Afrika, das Kinderkleid auf den Müllhaufen.
Teil der Kleider endet als Putzlappen
An anderen Tischen weiter hinten in der Halle wird dann fein sortiert. Für 450 Franken im Monat. «Das mag nicht viel sein», sagt die Handelsleiterin, «aber dafür müssen die Frauen fast nichts können. Sie brauchen kein Diplom, keine Sprachen, keine Computerkenntnisse.»
Etwa die Hälfte der Textilien sind brauchbar. Fünf Prozent davon sind so gut erhalten, dass sie in Bulgarien oder in anderen Ländern Osteuropas als Crème de la Crème weiterverkauft werden können. Weitere 30 Prozent und ein paar Schuhe sind auch immer noch in annehmbarem Zustand. Die andere Hälfte des Stoffs geht nach Pakistan und Afrika oder wird – sofern aus Baumwolle – zu Putztüchern. Und ein kleiner Teil ist schlicht Abfall und landet im Müll.
Auf dem Boden kniet eine Frau und sortiert Schuhe. Einzelne Schuhe, denen das Gegenstück fehlt zum Paar, schickt Texaid nach Pakistan. «Dort sind die Menschen so arm», sagt Elina Valkova, «dass sie sogar das noch tragen.»
Jedes Jahr weniger Brauchbares
Bei Texaid gilt also: Was in Europa eine textile Zumutung ist, landet in Asien oder Afrika. Was im Westen eine Zumutung ist, bleibt in Bulgarien. Allerdings gibt es jedes Jahr mehr Zumutungen und weniger Brauchbares.
«Die Kleider werden jedes Jahr billiger und wertloser», sagt Elina Valkova. Vor zehn Jahren hätten noch zehn Prozent ihrer Waren zur Crème de la Crème gehört, heute sei es eben nur noch die Hälfte. Die Kleider sind nach einer Wäsche zerfleddert und entfärbt – dafür gibt es fast jede Woche eine neue Kollektion.
Die Leute kaufen immer mehr davon, gerade auch in der reichen Schweiz. Und gerade in Corona-Zeiten haben viele ihre Schränke ausgemistet und eine Unmenge Kleider in die Texaid-Container gesteckt. «Wir haben viel zu viel Material», sagt Handelsleiterin Valkova. So viel, dass sie ein zusätzliches Warenlager habe mieten müssen.
Die Kleider werden jedes Jahr billiger und wertloser.
Schlechte Qualität in grossen Mengen, das heisst, Texaid verdient kaum noch etwas. In einigen Gemeinden in der Schweiz bittet die Firma im Moment darum, weniger bezahlen zu dürfen für die Altkleidersammlung. «Noch überleben wir», sagt Elina Valkova, «aber ich weiss nicht, wie lange.» Solange wahrscheinlich, wie es genug Menschen gibt wie die Frau mit der schicken Bluse und dem strengen Blick.
Gebraucht, aber wie neu
Die Kundin steht im grössten Mania-Laden Bulgariens, in einem Einkaufszentrum ausserhalb der Hauptstadt Sofia. Sie sagt: «Die Kleider, die ich bei Mania gebraucht kaufen kann, sind besser als die Kleider, die wir in Bulgarien neu nähen.»
Der Laden ist sauber wie ein neues Hallenbad. Alles hier ist gebraucht. Schuhe, die bei uns 200 Franken kosten, gibt es für fünf. Andere Sachen sind eigentlich neu: Es sind Retouren, jemand hat sie nach der Anprobe zurückgeschickt an ein Modeversandhaus.
Mania ist die grösste Second-Hand-Kette in Bulgarien. In einem Land, wo zwei Drittel der Menschen gebrauchte Kleider kaufen. Aber wie lange noch? Das fragt sich auch Sewdalin Spasov, Eigentümer von Mania und Präsident des Verbands der bulgarischen Altkleiderbranche.
«Es ist verrückt», sagt er. «Man kriegt inzwischen neue T-Shirts für einen Euro.» Auch in Bulgarien kaufen sich jetzt viele Menschen jede Woche neue Kleider, auch hier können sie es sich leisten. «Wir sammeln jedes Jahr mehr gebrauchte Kleider in Bulgarien selbst», sagt Spasov.
Schweizer Kleider sind teurer geworden
Auch für ihn ist der zunehmende Überfluss keine gute Nachricht, auch sein Geschäft ruinieren die Einweg-Kleider aus Plastik. Früher hat er viel in der Schweiz eingekauft, das ist heute nicht mehr denkbar – zu teuer ist gebrauchte Schweizer Mode geworden, auch wegen des hohen Werts des Schweizer Frankens.
Dass billige Konkurrenz und die Folgen der Corona-Epidemie das Geschäft mit der Second-Hand-Mode in Bulgarien kaputt machen, das ist das eine. Das andere ist die Umwelt. In Afrika und Asien verrotten die Einweg-Kleider aus Plastik auf Deponien.
Und auch in Bulgarien machen sie Probleme. Es gebe schwarze Schafe in der Branche, erzählt Sewdalin Spasov. «Die haben ihre eigenen Lastwagen und importieren damit illegal Altkleider, sie verstecken sie unter anderen Waren, so dass der Zoll sie nicht findet.»
Giftiger Rauch aus Plastikkleidern
Die besten Stücke verkaufen diese Händler. Den Rest überlassen sie den Roma für ein paar Rappen. Die Roma kaufen das Zeug säckeweise und verbrennen es. Viele von ihnen sind zu arm, um sich anderen Heizbrennstoff zu kaufen.
Es gibt Aufnahmen des bulgarischen Fernsehens, auf denen man sieht, wie eine Frau gebrauchte Kleider in den Ofen ihrer Hütte stopft, über denen man schwarzen Rauch sieht. Das Verbrennen der billigen Plastikkleider verpestet die Luft, ist gefährlich für menschliche Lungen.
Bei der Lösung für ihre Probleme sind sich Kleiderhändler Spasov und Kleidersammlerin Valkova einig: «Die Menschen sollten weniger und besser gemachte Kleider kaufen.»