«Es war das Ausbildungsgeld der Kinder», sagt Martin, «jetzt ist alles weg». Martin – sein richtiger Name ist der SRF-Redaktion bekannt – ist einer von vielen in der Schweiz, die auf Anlagebetrüger im Internet hereinfallen. Der Vater von zwei Kindern suchte nach Anlagemöglichkeiten im Internet und stiess auf eine seriös wirkende Internetseite, die mit einer Handelsplattform verbunden war. Die Seite war ein Fake.
Unterhalten wurde sie von einer möglicherweise aus Russland stammenden kriminellen Bande, die gezielt nach investitionswilligen Anlegern mit Geld sucht. Martin hat studiert, arbeitet als Abteilungsleiter in einem KMU. Dennoch fiel er auf die Betrüger herein.
Mit 250 Euro gestartet – am Ende 142'000 verloren
Martin hatte sich erst auf der Seite registriert, dann als Test 250 Euro investiert. Tatsächlich erhielt er von den Betrügern 40 Franken zurück – angeblich der Gewinn aus den ersten Investitionen in Kryptowährungen. In der Folge wurde der Familienvater mehrmals per Telefon, Whatsapp oder E-Mail kontaktiert – angeblich, um seine Investitionen zu besprechen.
«Er nannte sich Sam und war sehr vertrauenswürdig. Je mehr ich mit ihm sprach, um so mehr glaubte ich ihm», sagt Martin. Sam gaukelte ihm weitere, in Wahrheit aber nicht vorhandene, Gewinne vor – ausbezahlt wurden diese aber nie. Dennoch animierten Martin die vermeintlichen Gewinne zu immer grösseren Investitionen. Eines Tages war die Handelsplattform nicht mehr aufrufbar. Sams Handynummer funktionierte nicht mehr, die E-Mails gingen ins Leere. 142'000 Euro waren weg.
In gewissen Kantonen sehen wir teilweise eine Verdoppelung bis Verdreifachung der Fälle pro Monat.
Ein klassisches Betrugsmuster. So wie Martin geht es mittlerweile Tausenden Anlegern hierzulande, die über den Tisch gezogen werden. In allen Kantonen der Schweiz zeigt sich das gleiche Bild: Die Fälle nehmen zu – und zwar massiv. «Allein im Kanton Zürich sind es über 100 Fälle pro Monat», sagt Serdar Günal Rütsche, der die nationale Koordinationsstelle der Polizeikorps für Internetbetrug (Nedik) leitet.
«In gewissen Kantonen sehen wir teilweise eine Verdoppelung bis Verdreifachung der Fälle pro Monat.» Man müsse auch von einer hohen Dunkelziffer ausgehen, sagt Günal Rütsche. «Die Opfer erleiden eine grosse Scham, wenn ihnen klar wird, dass sie übers Ohr gehauen wurden.» Es gebe auch viele tragische Fälle: Rentner, die ihr ganzes Geld verloren hätten, Geschäftsführer von KMU, Angestellte und viele mehr – betroffen seien alle Gesellschaftsschichten. In vielen Kantonen fehlten Ermittler, um dem Ansturm der Fälle Herr zu werden, erläutert Günal Rütsche.
Unlängst wurde in Deutschland ein Fall bekannt, bei dem ein länderübergreifendes Täter-Netzwerk mit spekulativen Finanzprodukten mehrere tausend Personen um jährlich 100 Millionen Euro geschädigt hat. Die Spuren führen nach Bulgarien. Der Schaden durch Online-Anlagebetrug in der Schweiz beläuft sich jährlich auf 100 Millionen Franken, heisst es beim Netzwerk digitale Ermittlungsunterstützung Internetkriminalität der schweizerischen Polizeikorps (Nedik).
Die schweizerischen Polizeikorps haben in Zusammenarbeit mit der schweizerischen Kriminalprävention (SKP) 2019 eine Kampagne lanciert, um vor den Gefahren von Internet-Kriminalität zu warnen. Die Kampagne gegen Anlagebetrug im Internet startet heute. Konkret wird ein Videoclip auf den sozialen Netzwerken gezeigt.
Im Clip lässt sich das Opfer Thomas von einem Anlagebetrüger über den Tisch ziehen. Thomas investiert sein ganzes Vermögen in eine Finanzanlage, die es gar nie gegeben hat. Er wird sein Geld nie wieder sehen. Das Thema Anlagebetrug bildet den Schlusspunkt einer Präventionsreihe, die seit 2019 läuft. In diesem Jahr hat die Kriminalprävention auf gleiche Weise bereits vor Delikten wie Sextortion (Erpressung durch Veröffentlichung von Nacktfotos, betrügerischen Support-Anrufen und Grooming (sexuelle Belästigung von Kindern und Jugendlichen) gewarnt.
Betrugsmaschen verlagern sich auf soziale Medien
In den vergangenen Jahren haben Anlagebetrügereien kontinuierlich zugenommen. Das stellt auch die auf Internet-Kriminalität spezialisierte Unternehmensberatung BDO fest: «Wenn Sie täglich sehen, wie beispielsweise Hobby-Anleger Renditen von mehreren 100 Prozent realisieren, dann sind Sie möglicherweise selbst versucht zu sagen: Ich probiere das jetzt auch mal,» sagt Stefan Kühn, Leiter des Risk Advisory Teams von BDO Schweiz.
Die Palette an betrügerischen Methoden sei gross, so Kühn. Im Internet und auf den sozialen Medien entwickle sich ein eigentlicher Wirtschaftszweig. «Besonders auffällig sieht man das im Bereich der Kryptowährungen», sagt Kühn. Dort gebe es richtige Hacker-Syndikate wie Lazarus, die sich auch auf Anlagebetrug spezialisiert haben.
«Pump and Dump» mit der Serie «Squid Game»
Mittlerweile sei es einfacher geworden, mit mehreren Nutzern oder sogar unter Zuhilfenahme von Bots koordiniert Werbung für einen Betrug zu machen, erklärt Kühn. Eine beliebte Methode sei das «Pump and Dump» (aufpumpen und wegwerfen) – eine Strategie der Marktmanipulation bei wertlosen Währungen.
Durch verabredeten Kauf in grossen Volumen wird der Wert künstlich aufgepumpt, dabei werden weitere Anleger angezogen. Ist der Wert gestiegen, verabreden sich die Betrüger zum gleichzeitigen Verkauf, was den Kurs wieder abstürzen lässt.
So geschehen Ende Oktober mit dem «Squid Game Coin» – eine wertlose Kryptowährung in Anlehnung an die erfolgreiche Netflix-Serie «Squid Game».
Der Einstiegspreis am ersten Handelstag Ende Oktober lag bei rund 0.124 Euro, in weniger als einer Woche erreichte der Preis den Höchststand von 543.06 Euro. Das entspricht einem Gewinn von über 400'000 Prozent. Nur 15 Minuten später lag der Kurs wieder bei rund 0.002 Euro.
Via Dating in Krypto-Falle gelockt
Auch Plattformen zur Partnersuche werden von Betrügern heimgesucht. Sarah (richtiger Name der Redaktion bekannt) befand sich in einer schwierigen Lebenssituation, als sie auf einer Dating-App einen Partner suchte. Tatsächlich meldete sich ein attraktiver Mann mit dem Namen Kevin aus Asien.
Im Verlaufe des Flirts kam Kevin auf seine erfolgreichen Krypto-Investitionen zu sprechen und lockte Sarah auf eine gefälschte Handelsplattform aus Hongkong. Sarah fiel sofort auf, dass das Impressum fehlte, die Website war voller Schreibfehler. «Ich wusste, dass hier etwas nicht stimmen konnte, dennoch investierte ich. So gross war Kevins emotionale Kontrolle über mich», erinnert sich Sarah. Sie verlor 50'000 Franken.
Ein Betrug muss innerhalb von zwei Stunden gemeldet werden, sonst ist es zu spät.
In den meisten Fällen melden sich die Opfer eines Anlagebetrugs erst nach Monaten bei der Polizei. «Opfer haben in diesen Fällen keine Chance mehr, ihr Geld je wiederzusehen», sagt Günal Rütsche. «Denn ein Betrug muss innerhalb von zwei Stunden gemeldet werden, sonst ist es zu spät.» Oftmals gestalteten sich die Ermittlungen als schwierig, die Täter seien schnell und kreativ.
«Immer wieder tauchen neue Handelsplattformen und Internetseiten von Betrügern auf. Schliesst man die eine, tauchen zwei Tage später schon wieder neue auf», sagt Gerhard Jeckelmann, Cyberermittler der Kantonspolizei Freiburg. Die Täter stammten sehr oft aus Osteuropa und Asien.
Die Banden arbeiteten strukturiert und effizient, funktionierten wie Unternehmen mit unterschiedlichen Hierarchiestufen, erklärt Jeckelmann: «Um an Informationen zu kommen, muss man über den Behördenweg kommen. Das dauert sehr lange – unter Umständen mehrere Monate bis zu einem Jahr. Das bremst unsere Ermittlungen aus.»