Zahlen können mächtig sein. Vielleicht zu mächtig. Das Brutto-Inland-Produkt (BIP) drückt in einer Zahl aus, wie gut es einer Volkswirtschaft geht. Es ist bis heute der einzige international akzeptierte Massstab zur Messung gesamtwirtschaftlicher Aktivität. Regierungen richten ihre Ausgabepläne danach, geben vor, damit den Wohlstand des Landes zu messen.
Wächst das BIP, so geht es den Menschen im Land besser. Wirklich? Das BIP hat Mängel. Es wächst, wenn mehr Waffen verkauft werden. Oder mehr Pillen, weil die Menschen krank sind. Auch wenn es den Menschen unter diesen Umständen nicht besser geht. Wenn aber mehr Nachbarschaftshilfe geleistet wird, ändert sich nichts. Das BIP erfasst ehrenamtliche Arbeit nicht.
Kritik vom Wirtschafts-Nobelpreisträger
Ein weiterer Mangel: Das BIP wurde im analogen Zeitalter erfunden. Kostenlose digitale Produkte wie Youtube-Videos oder Wikipedia-Einträge sind nicht eingerechnet. Thomas Straubhaar, Professor für internationale Wirtschaftsbeziehungen, schreibt in einem Aufsatz: «Die Wertschöpfung im Internet, der virtuelle Handel mit digitalen Daten sowie die Effekte einer Sharing Economy entziehen sich in beachtlichen Teilen der sachlichen Erfassung, räumlichen Zuordnung und zeitlichen Abgrenzung». Diese Wertschöpfung fliesst somit nicht ins BIP ein.
Die prominente Kritik zeigt: Es sind nicht einfach wachstumsskeptische Kreise, die sich am BIP stören. So hat der renommierte Ökonom und Nobelpreis-Träger Joseph Stiglitz in einer Studie zuhanden der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) aufgezeigt, wie ein zu starrer Fokus aufs BIP dazu führte, dass Regierungen die Finanzkrise 2008 nicht kommen sahen.
Neuseelands Premierministerin geht neue Wege
Das BIP misst weder Wohlbefinden noch die Verteilung des Wohlstandes. Das stört Jacinda Ardern, seit 2017 Premierministerin Neuseelands. In den letzten 20 Jahren hätten sich die Top-Einkommen in ihrem Land verdoppelt, das BIP sei stetig gewachsen.
Die tiefen Einkommen dagegen hätten stagniert, und die Kinderarmut habe sich verdoppelt. «Einige sind heute reicher, aber das Land ist in vielerlei Hinsicht ärmer geworden», schreibt die 38-jährige in der «Financial Times» vom Dienstag.
Für Mai kündigt Ardern das weltweit erste Wellbeing-Budget an. Es werde auf den Lebensstandard der Menschen fokussieren – mit dem Ziel, die Ausgaben anders zu gewichten, sie dorthin zu leiten, wo sie das Wohlbefinden der Menschen erhöhen. Konkret dürfte künftig mehr Geld in Gesundheit und Bildung fliessen.