Auf schmalen Pfaden durch den dichten Wald, in der Region Cauca im Südwesten Kolumbiens. Das war die letzten zwanzig Jahre der Arbeitsweg von Hernán Noreña. Sein Geld verdiente er als Marihuana-Bauer. Einmal wurde er beim Transport erwischt – und war deshalb schon zwei Jahre im Gefängnis.
Die Gegend um das 13'000 Einwohner-Dorf Corinto war bis vor anderthalb Jahren in der Hand der FARC-Guerilla. Unternehmen oder Investoren blieben fern. «80 Prozent der Leute hier im Dorf bauen Cannabis an», sagt Noreña. Er trägt ein kariertes Hemd und Trekkingschuhe. Nur wenn er etwas aus der Nähe betrachtet, setzt er eine Brille auf.
Ausweg aus der Illegalität
Als Kolumbien im November 2016 einen Friedensvertrag mit der FARC-Guerilla unterzeichnete, eröffnete dies neue Chancen auch für die Region Cauca. Nun wagen sich plötzlich Unternehmen in die Gegend. Viele von ihnen, weil sie an ein Produkt glauben: Medizinisches Cannabis.
Eine Kombination verschiedener Faktoren hat sie überzeugt: Die Böden sind gut, das Klima günstig. Viele der Bewohner in der Region haben bereits Erfahrungen im Cannabis-Anbau. Der kolumbianische Staat hat geeignete Rahmenbedingungen geschaffen. Zusätzlich gibt es Steuererleichterungen für Unternehmen, die sich in ehemaligen Konfliktgebieten ansiedeln.
Auch Bauer Hernán Noreña will die neuen Möglichkeiten nutzen. Deshalb hat er sich einer Kooperative angeschlossen, die medizinisches Cannabis anbauen will. Ganz legal, im Auftrag von Unternehmen und kontrolliert durch die Regierung.
Standleitung zur Drogenpolizei
Der Staat stellt für den Anbau strenge Bedingungen. Ein hoher Sicherheitszaun mit Bewegungsmeldern und mit Kameras, deren Bilder ständig zur Drogenpolizei übermittelt werden. Die Regierung will einen Schwarzmarkt um jeden Preis vermeiden. «Lieferwagen müssen so sicher sein wie Geldtransporter», sagt Noreña. Allein ein abgesichertes Gewächshaus, das den Bestimmungen entspricht, koste um die 30'000 Franken. «Das können wir Bauern niemals stemmen.»
Deshalb hat die Kooperative einen Vertrag mit einem Unternehmen unterzeichnet, das die Rohwaren weiterverarbeiten und dann vermarkten wird. Rohware darf nicht exportiert werden. Die Idee dahinter: Kolumbien soll an der Wertschöpfung beteiligt werden. 44 Prozent der Lizenzen, die in diesem Jahr bisher für den Anbau von medizinischem Cannabis vom International Narcotics Control Board herausgegeben wurden, gingen an Kolumbien. Mehr als an die USA oder Israel. Kanada hat seine Zahlen noch nicht gemeldet.
Kein Freibrief für den Marihuana-Anbau
Es sei der Regierung nicht darum gegangen, den Marihuana-Anbau zu legalisieren, sagt Vize-Justizminister Carlos Medina. «Der illegale Anbau muss verschwinden und Platz machen für eine legale Industrie unter völlig anderen Vorzeichen. Das müssen die Bauern verstehen. Und die Regierung ist dazu bereit, sie in diesem Prozess zu begleiten.» Er geht davon aus, dass die neue Branche aufgrund der hohen Preise für medizinisches Cannabis in Zukunft 15 Prozent der Wertschöpfung in der kolumbianischen Landwirtschaft ausmachen könnte.
Sozialabgaben und Urlaubsansprüche
Die Branche steht noch am Anfang und der Friedensschluss ist frisch. In verschiedenen Gegenden, auch um Corinto herum, gibt es noch immer bewaffnete Rebellen. Sie gehören der noch aktiven ELN-Guerilla an oder Splittergruppen der ehemaligen FARC-Guerilla, die sich dem Friedensprozess verweigert haben.
Doch mehrere grosse, internationale Unternehmen haben bereits in die Branche investiert. Etwa die kanadisch-kolumbianische Firma Pharmacielo, mit Hauptsitz in der Stadt Medellin. Das Unternehmen war das erste, das die notwendigen Lizenzen bekam. Pharmacielo pflanzt selbst Cannabis an, aber wird auch von 63 Bauernfamilien aus Corinto Rohware kaufen. Mindestens zehn Prozent der Produktion der Grossunternehmen müssen, gemäss Gesetz, von lokalen Kleinbauern stammen. «Sie werden ganz legal für uns arbeiten. Mit allen Sozialabgaben und Urlaubsansprüchen, wie sie gesetzlich festgelegt sind», verspricht der Direktor von Pharmacielo, Federico Cock-Correa. «Die Bauern produzieren für uns, und wir verarbeiten die Pflanzen weiter. Sie werden erfolgsabhängige Gehaltszulagen bekommen – auf die Verkäufe der Öle, das heisst der fertigen Produkte.»
Keine magische Lösung für Kolumbien
Der Bürgermeister von Corinto, Edward García, hofft auf neue Arbeitsplätze. Mindestens 400 seien schon sicher. «Für uns ist das enorm und ich bin mir sicher, dass wir im nächsten Jahr schon von 1000 bis 1500 Stellen sprechen werden», sagt der Bürgermeister. «Bisher hatten nur maximal zehn Prozent der Bevölkerung einen Arbeitsplatz auf dem regulären Arbeitsmarkt.» Die Gemeinde will darauf achten, dass die Bauern eine faire Bezahlung erhalten und das Arbeitsrecht eingehalten werde. Mehr als tausend Bauern haben sich bereits im Justizministerium registriert und warten darauf, die Lizenz für den Anbau zu bekommen.
Natürlich sei medizinisches Cannabis keine magische Lösung für Kolumbien, das zu den grössten Drogenproduzenten weltweit gehört. «Der Drogenanbau wird in vielen Regionen weiter gehen,» sagt García. «Aber für uns hier in Corinto, für viele Bauernfamilien, kann das medizinische Cannabis eine Revolution bedeuten.»