Der KV-Lernende Nikola (18) verbindet den ersten Shutdown im März 2020 vor allem mit Stress. Als Lernender des Kantons Zürich war er damals beim RAV tätig. «Am Montagmorgen um 08.00 Uhr schellten alle Telefone auf einmal», erinnert er sich. Viele Arbeitnehmende hätten sich vorsorglich anmelden oder informieren wollen.
Für den Lernenden, damals im ersten Lehrjahr, bedeutet der erste Shutdown darum: Mit anpacken, wo es geht. «Ich habe gelernt, Verantwortung zu übernehmen, zu schwimmen, Prioritäten zu setzen», sagt Nikola. Er sei dadurch schneller reif geworden.
Trotz Pandemie sieht er sich gut auf die Abschlussprüfung vorbereitet – und auf das Berufsleben, das nun folgt.
«Ich kenne meine Lehrzeit eigentlich nur mit Corona», sagt Alicia (20), die in diesem Jahr an der Gewerblich und industriellen Berufsfachschule Freiburg die Lehre abschliesst. Doch gerade die Phasen nach dem ersten Shutdown im Frühling 2020 sei besonders lehrreich gewesen. In den ersten drei Wochen war der Coiffeur-Betrieb jeweils ausgebucht gewesen.
Die Mitarbeitenden hätten sich intern so organisiert, dass die Lernenden den Kundinnen und Kunden die Haare gewaschen hätten, und die ausgelernten Coiffeure hätten geschnitten, erzählt Alicia. «Wir haben gelernt, speditiv zu arbeiten, trotz Distanzregeln und besonderen Massnahmen.»
Zudem sagen Lernende, sie hätten gelernt, unter erschwerten Bedingungen zu beraten. «Für die Beratung ist das Gesicht zu sehen das Wichtigste», sagt Alicia. Doch wie beraten und exakt schneiden, wenn das Gesicht grösstenteils unter einer Maske steckt?
Anspruchsvoller Fernunterricht
Viele Coiffeusen hätten sich deshalb – unter Wahrung der Distanzregeln – wenigstens für einen kurzen Moment das Gesicht der Kundin eingeprägt, dann beraten und geschnitten. Auch Miranda (26) fand das Beraten mit Maske schwierig. Und lernte: «freundlich bleiben, auch wenn es schwierig ist».
Doch idealisieren wollen die Jugendlichen ihre Lehrzeit unter Corona keinesfalls. Gerade der Unterricht in der Berufsfachschule sei mit der Umstellung auf Fernunterricht anspruchsvoll gewesen. «Schulisch war es schwierig. In einigen Themen hinkten wir hinterher», sagt auch Selina (19). Doch auf die Prüfung hin sehen sie und die Klassenkameradinnen sich gut vorbereitet.
Diesen Eindruck teilt auch die Lehrerin Anita Mitrović. Nebst ihrem Pensum als Berufskunde-Fachlehrerin ist sie selbst Ausbildnerin in einem Betrieb. Zudem leitet sie im Verband Coiffeur Suisse die Kommission für Berufsentwicklung und Qualität.
Lücken im Schulstoff
Gerade nach der Zeit des Fernunterrichts hätte sie bei einigen Lernenden Lücken im Schulstoff erkannt. «Die Lernenden haben den Schulstoff zwar sehr gut für sich durchgearbeitet. Aber es fehlte die Vernetzung zur Praxis, die Diskussion, das Interaktive», sagt sie.
Zudem habe sie an die Selbstverantwortung der Lernenden appelliert. «Eat the frog», habe sie gesagt. Also: Die Kröte schlucken. «Es bedeutet, sich hinzusetzen, die eigenen Ziele zu definieren und dann loszulegen», erklärt Mitrović.
Ein Appell an die Selbstverantwortung also. Auch in KV-Klassen sind solche Appelle gefallen. Und angekommen.
Beim SBFI, dem Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation, bestätigt der Experte diesen Eindruck. «Es gibt auch positive Aspekte», sagt Daniel Duttweiler, Leiter Ressort Berufsbildungspolitik. «Bei einigen Jugendlichen hat die besondere Situation die Selbstständigkeit gefördert».
Expertinnen und Experten weisen aber auch auf klaffende Lücken hin. Bei jenen Lernenden, die kaum über Selbstlernkompetenzen verfügen, hat der Fernunterricht die Lernsituation verschlechtert. Bei ihnen dürfte auch der Appell an die Selbstverantwortung wenig genützt haben.
Generelle Aussagen zu Auswirkungen der Pandemie auf die Lehre sind kaum möglich, denn es gibt rund 250 verschiedene Berufe. Für das Qualifikationsvefahren (QV), wie die Abschlussprüfung genannt wird, gelten die Grundsätze des SBFI.
Das QV setzt sich zusammen aus dem Allgemeinbildenden Unterricht (ABU), der Berufskunde (BK) und der praktischen Arbeit. Für die ABU- und BK-Prüfung ist die Berufsfachschule zuständig. Für die praktische Arbeit die Branchenverbände.
Die Erfolgsquote lag im vergangenen Jahr im Durchschnitt bei rund 92 Prozent. Sie variiert aber je nach Beruf stark. Das dürfte auch dieses Jahr der Fall sein – unabhängig von Corona.
Die Gründe für die unterschiedlichen Quoten sind gemäss Expertinnen schwer auszumachen: Es kann am Ausbildungsbetrieb liegen, der die Lernenden schlecht ausbildet und als Hilfskraft missbraucht, an den zu hohen Anforderungen bei theoretischen Arbeiten oder an der Motivation der Lernenden.