Ungleichheit gab es auch schon vor Corona. Doch die Pandemie verstärkt sie noch. Beispiel Arbeitsplätze: Die Pandemie treffe Leute in schlecht bezahlten Arbeitsverhältnissen viel mehr als solche in gut bezahlten, sagt Florian Scheuer, Ökonom und Ungleichheitsforscher an der Universität Zürich.
Vor allem Kontakt-intensive Branchen seien getroffen worden – etwa das Gastgewerbe und der Tourismus, führt Scheuer aus. «Dort arbeiten viele Leute mit relativ niedrigen Löhnen und temporären, saisonalen Arbeitsverhältnissen. Sie haben ohnehin ein geringeres finanzielles Polster.»
Wir beobachten einen langfristigen Trend: Die Vermögensungleichheit am ganz oberen Ende hat in den letzten Jahren massiv zugenommen.
Die Folge: Die Pandemie lässt die Einkommensschere noch weiter aufgehen. Das bestätigt auch eine repräsentative Umfrage des gewerkschaftsnahen deutschen Forschungsinstituts WSI mit mehr als 6000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern: Im November hatten bereits 40 Prozent der Befragten Corona-bedingt weniger Einkommen als zu Beginn der Pandemie. Die meisten Einbussen erlitten Geringverdiener.
«Ich nehme an, dass in der Schweiz dieselben Gesetzmässigkeiten am Werk waren. Die Länder sind ja relativ symmetrisch betroffen gewesen von der Pandemie», sagt Ökonom Scheuer. Schon die Kinder von Geringverdienern leiden stärker unter den Folgen der Corona-Pandemie als die Kinder von Besserverdienern.
Homeschooling hängt Ärmere ab
Laurence Boone, Chefökonomin der Industrieländer-Organisation OECD, verweist auf die teils monatelangen Schulschliessungen. In ärmeren Bevölkerungsschichten sei der Anteil der Kinder, die Internetzugang haben, sehr klein. «Viele von ihnen haben dadurch keinen Zugang zum Schulstoff gehabt», sagt Boone. Der Graben zu Kindern aus bessergestellten Familien, die zu Hause auch sonst mehr Hilfe bekämen, sei riesig.
Eine Bildungslücke mit Langzeitfolgen. Schlecht ausgebildete Jugendliche kommen schlechter in den Arbeitsmarkt hinein, wie OECD-Studien zeigen. Und niedrig Qualifizierte waren nach der Finanzkrise auch die ersten, die ihren Job wieder verloren. Sie blieben für lange Zeit arbeitslos. Das könnte sich nach Corona wiederholen, sagt OECD-Chefökonomin Boone.
Das verlangsamt die wirtschaftliche Erholung. Und vergrössert die Einkommensungleichheit noch mehr. «Es wird dann auch schwieriger für die nächsten Generationen, wieder aufzusteigen, wenn man in eine arme Familie geboren wird», sagt Ungleichheitsforscher Scheuer.
Schere geht weiter auseinander
Auch die Vermögensungleichheit wird durch Corona noch weiter verstärkt. Während Millionen von Menschen ihre Arbeit durch die Pandemie verloren, hat sie Ultra-Reiche wie Amazon-Chef Jeff Bezos noch viel reicher gemacht. Allein in den USA wuchs das Vermögen der Reichen um gut 1000 Milliarden Dollar – ein Viertel mehr als vor der Krise.
«Die Vermögensungleichheit am ganz oberen Ende hat in den letzten Jahren massiv zugenommen. Das hat sich dieses Jahr fortgesetzt, weil sie mit ihren Unternehmen von der Pandemie wenig betroffen waren», sagt der Ökonom Scheuer.
Die wachsende Ungleichheit birgt politischen Sprengstoff. Sie könne dazu führen, dass es zu «Polarisierung und starkem Auseinanderdriften in politischen Ansichten kommt. Es könnte zur Gefahr werden, dass die Superreichen politisch zu viel Einfluss haben», warnt Scheuer.
Das verstärkt soziale Spannungen. Und schürt das Misstrauen der Abgehängten in die Regierungen. Ein gefährlicher Cocktail – erst recht in Krisenzeiten wie diesen.