Es ist einer der ungewöhnlichsten und rätselhaftesten Börsengänge in der Geschichte der Wall Street. Das Unternehmen Palantir, benannt nach einer Art Kristallkugel aus der Romanreihe «Herr der Ringe», liess seine Aktien erstmals an der New Yorker Börse notieren. Es dauerte Stunden, bis der erste Trade erfolgte. Dann stieg die Aktie prompt um über 50 Prozent.
Vor Ausbruch der Pandemie verliehen Börsengänge der Stimmung auf dem Parkett einen zusätzlichen Energieschub. Die Vertreter der Unternehmen durften die Eröffnungs- oder Schlussglocke läuten. Die Händler erhielten Baseball-Kappen oder T-Shirts mit dem Firmenlogo. Auf dem Floor wurde häufig eine überdimensionierte, goldene Glocke für den ersten Trade aufgebaut.
In Corona-Zeiten und mit strengen Abstandsregeln verlief das Debut von Palantir zumindest visuell weniger spektakulär. Es gab keine Bilder von ausgelassenen Händlern oder Topmanagern. Das ändert jedoch wenig daran, dass es einer der aussergewöhnlichsten Börsengänge der jüngeren Geschichte ist.
An Suche von Bin Laden beteiligt?
Palantir ist auf Datenanalyse spezialisiert. Zu den grössten Kunden gehören vor allem US-Geheimdienste und Behörden. Dazu zählen etwa CIA, FBI, NSA und die Einwanderungsbehörde ICE. Es gibt nicht bestätigte Medienberichte, wonach die Software von Palantir bei der Suche nach Osama bin Laden, dem Gründer der Terror-Organisation Al-Kaida, eingesetzt worden sei.
Palantir ist darauf spezialisiert, grosse Datenmengen zu analysieren. So werden etwa Daten aus sozialen Medien mit Telefondaten und Angaben von Elektrizitätswerken oder Gesundheitsversorgern zusammengebracht. Dabei achtet das Unternehmen vor allem auf hohe Benutzerfreundlichkeit und konfiguriert die Software gemäss den speziellen Wünschen jedes einzelnen Kunden. Damit soll eine entsprechend enge und treue Kundenbeziehung aufgebaut werden.
Stärkstes Wachstum der Geschichte?
Wie so viele Unternehmen, die es derzeit an die Börse zieht, verbucht Palantir keinen Gewinn – und wird das in absehbarer Zeit voraussichtlich auch nicht erreichen. Im vergangenen Geschäftsjahr betrug der Verlust knapp 580 Millionen Dollar. Für das laufende Jahr wird ein Umsatz von rund einer Milliarde Dollar angepeilt. Mit einem Zuwachs um 42 Prozent wäre es das stärkste Wachstum der Unternehmensgeschichte.
Ungewöhnlich ist jedoch nicht nur das geheimnisumwitterte Umfeld, sondern auch der Börsengang selbst. Es handelt sich um ein sogenanntes Direct Listing. Dabei werden keine neuen Anteilsscheine vergeben, sondern die jetzigen Eigentümer und frühen Investoren decken den Bedarf an der Börse mit ihren eigenen Anteilsscheinen.
Kontrollmehrheit auf Lebenszeit
Das Unternehmen selbst bekommt zunächst kein frisches Kapital. Dafür werden bei einem Direct Listing die üblichen Roadshows und das Underwriting von Investmentbanken vermieden. Zu den wenigen Direct Listings in der Geschichte der Wall Street gehörten 2018 Slack und 2019 Spotify. Beide Aktien hatten an der Börse zunächst einen schweren Stand.
Bei Palantir werden laut der «Financial Times» die drei Gründer Peter Thiel, Firmenchef Alex Karp sowie Stephen Cohen, ungeachtet des Börsengangs auf Lebenszeit die Kontrollmehrheit bei Palantir behalten. Auch das ist äusserst ungewöhnlich. Doch in Zeiten, in denen die Noten- und Zentralbanken die Märkte mit billigem Geld fluten wie nie zuvor, scheint auch dies die Investoren für den Moment nicht abzuschrecken.