Wenn Ralf Balgar über die Situation auf Schweizer Baustellen spricht, tönt das so: «Ein Desaster. Zusammenarbeit wird verhindert statt ermöglicht. Anwälte gehören fast zur Grundausstattung.»
Ralf Balgars Worte haben Gewicht: Er ist Gesamtprojektleiter Immobilien-Entwicklung bei der Migros Ostschweiz und vertritt somit einen bedeutenden Bauherrn.
Bauen wie bisher mag Balgar nicht mehr. Also macht er vieles anders auf der Baustelle beim Herblinger Markt in Schaffhausen, wo gerade ein Migros-Markt umgebaut wird. «Wir können uns keine teuren Provisorien leisten. Wir müssen schneller und günstiger werden», sagt er im Interview mit «ECO». Mit herkömmlichen Methoden komme man preislich auf ein bestimmtes Niveau, weiter nach unten gehe es nicht. «Aber wir müssen weiter nach unten.»
Migros Ostschweiz hat Bauzeit halbiert
Bereits vor dem Spatenstich hat Balgar den Herblinger Markt fixfertig digital umbauen lassen – der digitale Zwilling ist ein 3-D-Modell, das unzählige Informationen enthält. Damit könnten Bauherr, Planer und Bauunternehmen von Beginn weg zusammenarbeiten statt gegeneinander. Und Ideen, auch jene von Handwerkern, früh in den Prozess einfliessen, so Balgar.
Zudem seien Planung und Logistik aus einer Hand möglich. Ein Beispiel: Ein einziges Unternehmen, beispielsweise eine branchenfremde Umzugsfirma, bringt sämtliches Material für alle beteiligten Firmen auf die Baustelle.
Wir gingen von zwei Jahren aus. Nun setzen wir das ganze Projekt in einem Jahr um.
Die Massnahmen führen dazu, dass alles viel schneller geht. «Wir gingen ursprünglich von einer Bauzeit von zwei Jahren aus. Nun setzen wir das ganze Projekt in einem Jahr um», sagt Balgar.
Solche Effizienzgewinne machen deutlich: Der Bau erlebt gerade eine digitale Umwälzung. Punkto Digitalisierung ist auf dem Bau in den vergangenen Jahren aber auch wenig passiert. Eine Expertin in Sachen Digitalisierung, Microsoft-Schweiz-Chefin Marianne Janik, drückt es diplomatisch aus: «Die Bauindustrie hat noch sehr viel Potenzial» (siehe Box).
Baubranche muss sich bewegen
Der digitale Zwilling gehört zum Kern der sogenannten BIM-Methode: Building Information Modeling. Das heisst: Möglichst viele Gebäudeinformationen werden im Voraus digital modelliert.
Auch der Claraturm in Basel wird nach dieser Methode gebaut. 100 Meter hoch, Wohnungen und Gewerbeflächen auf 30 Geschossen.
Diego Frey verantwortet beim zuständigen Bauunternehmen Halter das digitale Planen und Bauen. «Der digitale Zwilling des Claraturms ist fast fehlerfrei und somit eine wichtige Entscheidungsgrundlage», sagt er. So liessen sich etwa Fassaden, Sanitärinstallations-Elemente oder ganze Fertignasszellen problemlos vorfabrizieren.
Dass sich die Baubranche bewegen muss, steht für Frey ausser Frage. Sie habe die Produktivität in den vergangenen Jahren praktisch gar nicht gesteigert, ganz im Gegensatz zu anderen Branchen.
Bis zu 40 Prozent geringere Baukosten
Nun aber schafft die Digitalisierung neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Und führt dazu, dass Prozesse grundlegend überarbeitet werden. Schon heute baut Halter gemäss Frey zehn bis 20 Prozent günstiger als im analogen Zeitalter.
Wir gehen davon aus, dass wir Kosten und Bauzeit in fünf bis sieben Jahren um 30 bis 40 Prozent senken können.
Und das dürfte erst der Anfang sein. «Wir gehen davon aus, dass wir dank Digitalisierung, integrierter Zusammenarbeit und Produktivitätssteigerungen Kosten und Bauzeit in fünf bis sieben Jahren um 30 bis 40 Prozent senken können», sagt Frey.
Wie viel tiefer die Gesamtkosten beim Migros-Umbau in Schaffhausen ausfallen, wird Ralf Balgar erst nach Fertigstellung beziffern können. Klar ist für ihn schon jetzt: Die BIM-Methode wird dereinst zum Standard der Baubranche werden.
SBB machen Druck
Zu den Schrittmachern gehört die SBB: Ab 2021 werden die Bundesbahnen gemäss eigener Aussage für alle Hochbauprojekte über fünf Millionen Franken und ab 2025 für die Infrastrukturanlagen die BIM-Methode anwenden. Auch der Bund will vermehrt digital ausschreiben.
Das werde die Branche verändern, sagt Markus Weber. Er ist Präsident von Bauen Digital Schweiz, einer Plattform, die digitales Bauen fördert. «Wenn wir erzählen, welche Chancen mit der Digitalisierung entstehen, bewegen sich die wenigsten», sagt er. «Aber wenn der Druck von aussen steigt, indem der Besteller, der Bauherr, die Methode einfordert, wird das sicher etwas bewirken. Dann wird die Transformation schneller.»
Statistiken zeigen, dass wir pro Jahr drei bis fünf Milliarden Franken für Fehlerbehebungen ausgeben.
Das ist in Webers Augen dringend nötig. Denn: «Es gibt Statistiken, die zeigen, dass wir pro Jahr drei bis fünf Milliarden Franken für Fehlerbehebungen ausgeben.» Das zeige, dass der Bau mit den heutigen Methoden und Prozessen am Anschlag sei.
Und: Der Bau mache rund 15 Prozent des Bruttoinlandproduktes aus. «Dieser Wirtschaftszweig muss konkurrenzfähig gehalten werden, sonst wird diese Wertschöpfung dereinst im Ausland erzielt.»
Zahlen, die der Branche Anreiz genug sein dürften, die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung am Schopf zu packen.