Die Bilder von überfüllten und überforderten New Yorker Spitälern haben die Coronakrise im Frühjahr weltweit mitgeprägt. Bilder von Pflegenden, denen das Schutzmaterial fehlte, vom händeringenden New Yorker Gouverneur, der ob der mangelnden Beatmungsgeräte schier verzweifelte.
Börsen-Höhenflug vor düsterem Hintergrund
Vor diesem Hintergrund scheint – ein halbes Jahr später – die Nachricht von neuen Rekordständen an der Börse ebendieser Stadt nur schlecht zu passen. Die Höchstwerte scheinen umso erstaunlicher, nachdem auch die New Yorker Börse im Frühjahr wegen Corona um fast 40 Prozent eingebrochen ist. Der Dow Jones notierte vor wenigen Monaten nur noch knapp über 18'000 Punkten. Inzwischen sind es 30'000 Punkte, ein Anstieg um mehr als 60 Prozent. Indizes, in denen Technologie-Unternehmen wie Amazon oder Tesla vertreten sind, legten sogar noch stärker zu.
Nun sind Interpretationen von Börsenbewegungen immer schwierig. Kritiker spötteln, momentan machten es sich die Börsenkommentatoren besonders einfach: Steigen die Kurse, machten sie die Aussichten auf eine Covid-Impfung verantwortlich. Fallen sie, dann seien die höheren Fallzahlen schuld.
Unterschiedliche Erklärungsversuche
Wer oder was wirklich verantwortlich ist für die Börsenhöchststände in den USA, weiss vermutlich niemand. Und wer es wüsste – vor allem im Voraus – bräuchte seine Zeit nicht mit dem Verfassen von Börsenkommentaren zu verbringen.
Dennoch scheinen gewisse Erklärungsversuche plausibler als andere. US-Aktien seien rekordteuer, weil die wichtigste Alternative zu Aktien, die Obligationen, gar keine Zinsen mehr abwerfen – seit der Coronakrise auch in den USA nicht mehr. Aktien seien als Anlagevehikel für Rendite-suchende Anlegerinnen und Anleger fast alternativlos. Und weil so viele Aktien gekauft würden wie noch nie, seien diese eben so teuer wie noch nie.
Eine zweite Erklärung macht die Notenbanken verantwortlich. Diese hätten die Märkte bei Ausbruch der Coronakrise geradezu mit neuem Geld überschwemmt. So kauft die US-Notenbank Fed seit Juni erstmals überhaupt direkt Unternehmensanleihen auf. Sie versorgt damit auch Unternehmen mit Geld, denen Private mit Obligationen-Käufen kein Geld mehr leihen würden.
Inflation der Vermögenswerte
Das viele Geld müsste – so die klassische Wirtschaftstheorie – die Preise in die Höhe treiben. Preiserhöhungen bei Konsumgütern gabs bislang zwar keine – zu fragil sind das Vertrauen der Konsumenten und deren Nachfrage zu Krisenzeiten. Aber die Geldschwemme der Notenbanken könnte die Preise der Vermögenswerte durchaus angeheizt haben – darunter eben auch die Preise für US-Aktien.
Übertragen auf die Börse liesse sich orakeln, der Rekordstand kommt vor dem Fall. Und tatsächlich wird sich zeigen müssen, wie nachhaltig die aktuellen US-Aktienpreise sind. Was auffällt: Der Dow Jones hat sich seit 1997 in etwa verfünffacht – plus 400 Prozent. Der Schweizer Aktienmarkt hat in derselben Zeit nur etwa 30 Prozent zugelegt – und notiert heute deutlich tiefer als vor Ausbruch der Coronakrise. Wer das Verlustrisiko scheut und damit leben kann, mögliche Gewinnchancen zu verpassen, dürfte mit Aktienanlagen in der Schweiz deshalb aktuell besser bedient sein.