Der hohe Gaspreis fordert in Europa erste Verlierer: In einigen Ländern haben Unternehmen ihre Produktion eingestellt, weil sich der Betrieb nicht mehr lohnt. Manche Beobachter vergleichen die Situation schon mit der Ölpreiskrise der 1970er-Jahre.
Der Grund für die Preis-Hausse: Angebot und Nachfrage auf dem Gasmarkt ziehen derzeit in unterschiedliche Richtungen. Der Gas- und Strombedarf steige wegen der nach der Pandemie wieder anziehenden Industrieproduktion weltweit, sagt Georg Zachmann, Energieexperte bei der Brüsseler Denkfabrik Breugel.
Halbleere Speicher wegen kaltem Winter
Gleichzeitig ist das Angebot an Gas aus einer ganzen Reihe von Gründen derzeit geringer als normal. «Es gibt geopolitische Spannungen um die Gaspipeline Nord Stream 2, zum anderen sind die Gasspeicher in Europa viel weniger gefüllt, als das normalerweise in dieser Jahreszeit der Fall ist», sagt Martin Koller.
Er ist Leiter Energiewirtschaft beim Schweizer Energiekonzern Axpo, der europaweit nicht nur mit Strom, sondern auch mit Gas handelt.
Es gibt geopolitische Spannungen um die Gaspipeline Nord Stream 2.
Die Gasspeicher sind weniger voll, weil im letzten, kalten Winter mehr Gas als üblich verheizt wurde. Gleichzeitig musste Gas zur Produktion von Strom einspringen, denn viele Windräder drehten wegen Flauten nicht auf vollen Touren. Ausserdem drosselten Kohlekraftwerke ihre Produktion, weil der CO2-Preis stark gestiegen war.
Auch die Energiewende spielt eine Rolle
Die Länder wollen weg von den fossilen, hin zu erneuerbaren Energieträgern. Doch dabei stimme derzeit das Timing nicht ganz, meint Zachmann von Breugel: «Wenn die Geschwindigkeit zum Ausstieg aus den fossilen Energien schneller ist als der Einstieg in die grünen Energien, gibt es Probleme.» Deshalb sei es wichtig, dass die Geschwindigkeit beim Ausbau der grünen Energien hoch bleibe.
Die kurzfristige Folge: Das Gas ist nicht nur viel teurer als bisher, es könnte in den nächsten Monaten da und dort auch knapp werden. Deshalb ist die Angst vor einem harten Winter oder gar einer Energiekrise in den letzten Tagen gewachsen.
Für Dieter Helm, Professor für Energiepolitik an der Uni Oxford, hinkt der Vergleich mit der Ölkrise aus den 1970er-Jahren ohnehin: «Damals stand mit dem israelisch-ägyptischen Krieg ein politischer Anlass am Anfang der Krise. Deshalb stoppten die arabischen Länder ihre Erdöllieferungen in den Westen.»
Und auch für Energieexperte Zachmann sind diese Befürchtungen übertrieben – schliesslich betrage der Anteil des Erdgases am europäischen Energiemix bloss rund ein Fünftel.
Moskau macht Druck auf Europa
Eigentlich wäre genügend Gas vorhanden, denn Russland könne problemlos einspringen und kurzfristig mehr liefern als vertraglich mit den europäischen Abnehmern abgemacht, betont Oxford-Professor Helm.
Es gibt durchaus Hinweise darauf, dass die Russen etwas dabei nachgeholfen haben, dass die Gaspreise derart in die Höhe geschossen sind.
Doch Moskau drehe den Gashahn bewusst nicht weiter auf, um den Druck auf Europa zu erhöhen, dass dieses der fertig gestellten, aber umstrittenen Gaspipeline Nord Stream 2 die Betriebsbewilligung rasch erteilt.
«Es ist ein voraussehbares und lösbares Problem», betont der Oxford-Professor. Hoffentlich zögen die Europäer die Lehren daraus – um dieselben Fehler nicht dereinst zu wiederholen. Kurzfristig aber müsse Europa jetzt vor allem geeint dem russischen Druck entgegentreten.