Das Fläschchen in den Händen von ETH-Professor Aldo Steinfeld fasst nur wenige Deziliter Flüssigkeit. Dennoch steht der kleine Behälter für nicht weniger als die Vision einer Zukunft der nachhaltigen Luftfahrt. «Wir produzieren CO₂-neutrale Flüssigtreibstoffe aus zwei Zutaten: Sonnenlicht und Umgebungsluft», verkündet der Leiter der Professur für Erneuerbare Energieträger der ETH Zürich.
Auf einem Dach des ETH-Zentrums in Zürich steht die Pilotanlage, um den solaren Treibstoff herzustellen. «Diese kleine Raffinerie beweist, dass die Produktionskette von solaren Treibstoffen funktioniert», erklärt Steinfeld. Mehr als zehn Jahre hat der Wissenschaftler in dieses Projekt gesteckt.
Reaktor entnimmt der Luft CO₂
Auf einer Anlage in Móstoles, nahe Madrid, testet das EU-Projekt «Sun to Liquid» das Verfahren seit drei Jahren ausserhalb des Labors. Mit einer Fläche von knapp zwei Tennisplätzen bündeln 169 bewegliche Spiegel, sogenannte Heliostaten, das Sonnenlicht auf einen Turm. Hier befinde sich das «Herzstück» sagt Aldo Steinfeld und meint den Solarreaktor, den die ETH entwickelt hat. Er sei zehnmal Grösser als jener der Pilotanlage in Zürich. «So können wir beweisen, dass die Technologie im grossen Massstab funktioniert.»
Im Kern des Solarreaktors befindet sich eine poröse Struktur aus Ceriumoxid, das die ETH patentieren liess. Durch die gebündelten Sonnenstrahlen wird bei 1500 °C eine thermochemische Reaktion angestossen. Wasser (H₂O) und CO₂, das zuvor der Umgebungsluft entnommen wurde, werden gespalten. Übrig bleibt Synthesegas, eine Mischung aus Wasserstoff (H₂) und Kohlenmonoxid (CO), das sich zu Benzin oder Kerosin verflüssigen lässt. Wie gewohnt, können mit dem solaren Treibstoff Autos oder Flugzeuge direkt betankt werden. Dabei wird bei der Verbrennung nur so viel CO₂ frei, wie zuvor der Luft entnommen wurde. Das macht den Treibstoff CO₂-neutral.
Erdölkonzern investiert in Technologie
Philipp Furler hat als Doktorand in Steinfelds Gruppe den Solarreaktor mitentwickelt. Nun will er als Mitgründer des ETH-Spin-Offs «Synhelion» die Grundlagenforschung industriereif machen. Ziel ist es, das Verfahren zu kommerzialisieren. Dafür müsste die Anlage in Móstoles um das 100-Fache vergrössert und die Effizienz des Prozesses gesteigert werden. «Je effizienter wir den Prozess machen, desto kleiner ist die nötige Spiegelfläche», erklärt Furler. Die Heliostaten seien der Hauptkostentreiber einer solchen Anlage. Der heutige Effizienzgrad von sechs Prozent müsse auf 20 bis 25 Prozent erhöht werden.
Das solare Kerosin sei derzeit etwa doppelt so teuer wie jenes fossilen Ursprungs, schätzt Furler. Damit sei es auf dem heutigen Markt nicht konkurrenzfähig. Kerosin ist im Gegensatz zu Benzin und Diesel seit jeher von Steuern befreit. Hier setzt Furler an: «Wir gehen davon aus, dass in Zukunft Steuern auf fossiles Kerosin anfallen», dies mache die Technologie attraktiv und wettbewerbsfähig. Dieses Potenzial hat der italienische Erdölkonzern Eni entdeckt.
«Eni fürchtet sich vor hohen CO₂-Steuern in Zukunft», erklärt Furler, deshalb suche der Konzern Lösungen, Treibstoffe mit weniger oder gar keinem CO₂-Ausstoss zu produzieren. Gemeinsam mit Synhelion will Eni bis 2025 die erste kommerzielle Anlage in Betrieb nehmen, wo genau sei noch nicht klar. Die Spiegelfläche soll 400-mal grösser sein als jene in Móstoles.