Darum geht es: Die Lage bei Europas grösstem Autobauer Volkswagen im niedersächsischen Wolfsburg spitzt sich zu. Im Rahmen des milliardenschweren Sparprogramms schliesst die Kernmarke VW jetzt auch Werkschliessungen und betriebsbedingte Kündigungen nicht länger aus. Die Führung hat in einem beispiellosen Schritt die mit dem Betriebsrat geschlossene Vereinbarung zur Beschäftigungssicherung aufgekündigt. Diese schloss betbetriebsbedingte Kündigungen bis 2029 aus.
Die Begründung: Aus Sicht des Vorstands muss die Kernmarke VW umfassend restrukturiert werden. «Auch Werkschliessungen von fahrzeugproduzierenden und Komponenten-Standorten können in der aktuellen Situation ohne ein schnelles Gegensteuern nicht mehr ausgeschlossen werden», heisst es. Der bisher geplante Stellenabbau durch Altersteilzeit und Abfindungen reiche nicht mehr aus, um die Sparziele zu erreichen.
Die Reaktionen: Gewerkschaft und Betriebsrat sprechen von einem «Angriff auf Beschäftigung, Standorte und Tarifverträge». Sie kündigten Widerstand gegen Standortschliessungen an. Niedersachsens IG-Metall-Bezirksleiter Thorsten Gröger sprach von einem unverantwortlichen Plan, der die Grundfesten von Volkswagen erschüttere. Der Vorstand habe den Grundkonsens aufgekündigt, wonach Wirtschaftlichkeit und Beschäftigungssicherung bei Volkswagen gleichberechtigte Ziele seien, kritisierte Betriebsratschefin Daniela Cavallo.
Die Verunsicherung: Wie viele der rund 120'000 Stellen in Deutschland wegfallen könnten und welche Standorte es treffen könnte, sagte VW bisher nicht. Nach Angaben des Betriebsrats hält der Markenvorstand aber mindestens ein Fahrzeugwerk und eine Komponentenfabrik in Deutschland für entbehrlich.
Die Premiere: Die letzte Schliessung eines Produktionsstandorts liegt bei VW mehr als 30 Jahre zurück: 1988 machte der Konzern seine Fabrik in Westmoreland in den USA dicht. In Deutschland wurde noch nie ein VW-Werk geschlossen. Neben dem Stammwerk in Wolfsburg unterhält VW Fabriken in Hannover, Emden, Osnabrück, Braunschweig, Salzgitter, Kassel, Zwickau, Dresden und Chemnitz. Tochter Audi hatte jüngst bereits ihr Werk in Brüssel auf den Prüfstand gestellt.
Zahlen und Ziele: Konzernchef Oliver Blume begründet den Kurs mit der ernsten Lage der europäischen Automobilindustrie. Das wirtschaftliche Umfeld habe sich nochmals verschärft. Um die angepeilten Ergebnisverbesserungen von zehn Milliarden Euro bis 2026 zu erreichen, müssten die Kosten nun stärker als bisher geplant sinken. Laut dem «Handelsblatt» geht es um zusätzliche Einsparungen von bis zu vier Milliarden Euro.
Die Kernmarke: Die Kernmarke Volkswagen kämpft seit Jahren mit hohen Kosten und ist bedeutend weniger rentabel als die Konzernschwestern Skoda, Seat und Audi. Ein 2023 aufgelegtes Sparprogramm sollte das Ergebnis bis 2026 um zehn Milliarden Euro verbessern. Sinkende Verkaufszahlen, der stockende Hochlauf der Elektromobilität und neue Konkurrenz aus China machen der Branche insgesamt zu schaffen.