In der Südschweiz mit ihren rund 350'000 Einwohnerinnen und Einwohnern fehlen für den Zeitraum zwischen 2022 und 2026 rund 12'000 Arbeitskräfte. Die Schätzung stammt von Edoardo Slerca, Wirtschaftswissenschaftler an der Tessiner Fachhochschule Supsi. Das müsse zu denken geben.
Das Tessin sei in einer Phase, wo mehr ältere Menschen pensioniert würden, als jüngere ins Arbeitsleben einträten. Im Tessin sei zudem die Bevölkerung stärker überaltert als im Rest der Schweiz, womit der Fachkräftemangel früher spürbar werde.
Grenzgängerinnen sind kein Allheilmittel
Bisher beunruhigte das Thema Fachkräftemangel kaum, weil die Lücken mit den italienischen Grenzgängerinnen und -gängern gefüllt werden. Diese 80'000 Arbeitskräfte sind aber tendenziell jünger als die Tessiner Arbeitnehmenden. Dies wird in ein paar Jahren den Fachkräftemangel im Tessin noch zusätzlich verschärfen. Denn in rund zehn Jahren werden laut Slerca auch viele Grenzgängerinnen pensioniert.
Kommt dazu, dass auch in Italien viele Pensionierungen anstehen, was den dortigen Arbeitsmarkt umkrempeln wird. Gut möglich, dass es künftig für Personen aus dem Grossraum Mailand so viele gute Arbeitsstellen im eigenen Land gibt, dass sie nicht mehr ins Tessin arbeiten gehen wollen.
Ziel: anlocken und heimlocken
Ein Trumpf könnte laut Slerca für die Südschweiz das neue Grenzgänger-Abkommen sein. Denn damit müssen diese ausländischen Arbeitskräfte künftig mehr Steuern an ihrem Wohnort in Italien zahlen. Das könnte sie dazu bringen, ins Tessin zu ziehen. Neue Bewohnerinnen und Bewohner anlocken und dafür sorgen, dass nicht noch mehr junge Tessinerinnen und Tessiner abwandern – darum gehe es in Zukunft, so der Wissenschaftler.
Gleichzeitig werde intensiv daran gearbeitet, Tessinerinnen und Tessiner zur Rückkehr in die Heimat zu bewegen, ergänzt Stefano Rizzi, Direktor des Tessiner Wirtschaftsdepartements. Etwa mit einer kantonalen Internetseite, auf welcher jungen, ausserkantonal studierenden Tessinerinnen und Tessinern Ferienjobs im Tessin angeboten werden. So lernten sie den Alltag in Tessiner Betrieben kennen und kehrten dann nach dem Studium möglicherweise zurück.
Übersicht nur teilweise gewährleistet
Bezüglich Jobtransparenz kann die Südschweiz noch besser werden. Denn viele der offenen Stellen werden nicht ausgeschrieben. Das liegt daran, dass die Tessiner Wirtschaft vor allem aus Kleinstunternehmen besteht, die keine Personalabteilung haben. Viele Stellen werde deshalb unter der Hand vergeben.
Es gibt viel mehr Stellen, als man glaubt.
Die Zahl der auf öffentlichen Kanälen ausgeschriebenen Stellen entspreche bei weitem nicht der Zahl der tatsächlich offenen Stellen, so Forscher Slerca. «Es gibt viel mehr Stellen, als man glaubt.» Ein transparenter Arbeitsmarkt ist ein wichtiger Baustein, um im Kampf gegen den Fachkräftemangel neue Arbeitnehmende anzulocken. Die Herausforderungen, diesen Kampf zu gewinnen, sind sehr gross. Das Tessin ist dabei deutlich früher und mehr gefordert als andere Kantone.