Zum Inhalt springen

Fehlverhalten im Job Schweizer Multis setzen zunehmend auf Whistleblower

Bei Nestlé, Novartis und Roche verlieren Hunderte ihren Job, weil sie gegen interne Regeln verstossen.

Der eine rechnet zu hohe Spesen ab, der andere diskriminiert Arbeitskollegen, der Dritte missbraucht seine Position. Solches Verhalten wollen Grosskonzerne mit internen Meldesystemen eindämmen.

Carna-Grischa-Whistleblower: «Ich würde es wieder tun»

Box aufklappen Box zuklappen
Legende: SRF

Alexander Marx hat den Fleischskandal bei Carna Grischa aufgedeckt. Das Unternehmen hatte Verfallsdaten gefälscht, Pferdefleisch als Rindfleisch deklariert, ausländisches als Schweizer Fleisch. Obschon Carna Grischa später Konkurs ging, erhielt Marx viele positive Rückmeldungen. Und einen neuen Job.

SRF News: Sie haben als Mitarbeiter von Carna Grischa interne Dokumente gesammelt und diese veröffentlicht. Weshalb?

Alexander Marx: Mir war von Anfang an klar, dass die Öffentlichkeit das erfahren muss. Es ging nicht um einen kleinen Fehler oder eine Kleinigkeit. Ich wollte die Missstände nicht einfach vergessen und gehen. Ich dachte, irgendwann kommt die Geschichte raus, und jeder, der weiss, dass ich da gearbeitet habe, wird sagen «mitgehangen, mitgefangen».

Warum haben Sie nicht zuerst intern auf die Missstände hingewiesen?

Das war für mich nicht möglich, weil Carna Grischa auf einem kriminellen Gedanken aufgebaut war. Ich wusste ja nicht, wie hoch hinauf das geht in der Hierarchie. Und ich hatte Angst, mich an jemanden zu wenden.

Die Bestellungen gingen in der Folge rasant zurück, später ging Carna Grischa Konkurs, zwei ehemalige Geschäftsführer wurden wegen Warenfälschung verurteilt. Fühlten Sie sich je als Verräter?

Nein, ich kam mir nie als Verräter vor. In meiner Perspektive habe ich eine kriminelle Handlung an die Öffentlichkeit gebracht und nicht rechtschaffene Leute verraten.

Sie hatten danach mehrere neue Stellen, heute arbeiten Sie als Koch. Waren die Chefs skeptisch, einen Whistleblower einzustellen?

Nur einer hat gesagt: Wenn er es von Anfang an gewusst hätte, hätte er mich nicht eingestellt. Alle anderen Chefs haben gesagt «Hut ab, tolle Leistung».

Whistleblower gelten vielen nicht als Helden, sondern als Nestbeschmutzer. Haben Sie das gespürt?

Ich glaube nicht, dass Whistleblower gemeinhin als Verräter oder als Nestbeschmutzer gelten, sondern eher als Menschen mit Courage, mit Mut, als Menschen, die etwas verbessern möchte.

Würden Sie es wieder tun?

Es war ein harter Weg, es war kein einziges Mal leicht. Es hat viel Kraft und Nerven gekostet. Es war eine schwierige Zeit, aber ich würde es wieder tun. Vielleicht hätte ich es jetzt leichter, weil ich den Weg schon einmal gegangen bin.

Nestlé hat dafür das «Integrity Reporting System» eingerichtet: Mitarbeiter können anonym via Telefon oder Online-Kanäle melden, wenn sie Fehlverhalten beobachten oder Fragen zum Verhaltenskodex haben.

Wir sehen das als eine sehr positive Entwicklung.
Autor: Nestlé-Sprecher

Die Zahl solcher Meldungen steigt rasant: 2017 gingen weltweit 1725 Meldungen ein, das sind fast doppelt so viele wie 2014. Nestlé führt dies auf ein «erhöhtes Vertrauen» in das System zurück, das 2011 lanciert wurde. «Wir sehen das als eine sehr positive Entwicklung», sagt ein Nestlé-Sprecher.

Zahl der Kündigungen steigt rasant

In vielen Fällen bleibt es nicht bei der Meldung: 151 Personen haben Nestlé letztes Jahr in der Folge verlassen, das sind fünf Mal so viel wie 2014. Und 105 Personen wurden schriftlich verwarnt.

Weshalb die Zunahme? Es sei zu früh für klare Schlussfolgerungen, so der Sprecher. Es könne aber sein, dass Mitarbeiter mit zunehmendem Vertrauen ins System «mehr ernste Fälle melden».

Nur die wenigsten Firmen liefern Zahlen

Nur wenige geben so detailliert Auskunft wie Nestlé. Im internen Meldesystem von Roche gingen letztes Jahr 685 Meldungen ein. 131 Mitarbeiter mussten gehen, vier Geschäftspartnern wurde gekündigt. Bei Novartis waren es weltweit 2574 Hinweise von Mitarbeitern und Externen, 521 Mitarbeiter verliessen die Firma in der Folge.

Beim Baustoff-Riesen Lafarge-Holcim gingen 341 Hinweise ein, 37 Mitarbeiter haben das Unternehmen wegen Compliance-Verstössen verlassen. Und beim Genfer Warenprüfkonzern SGS mussten in acht Fällen Mitarbeiter ihr Pult räumen – nach 227 Hinweisen.

Der Grossteil aller anderen SMI-Firmen verfügt ebenfalls über interne Meldesysteme, gibt aber keine Zahlen bekannt. Auch Post, SBB und Migros verfügen über ein System, wie eine Umfrage von «ECO» zeigt.

Mehr Schutz für Whistleblower gefordert

Wer über interne Meldesysteme meldet, kann dies anonym tun. Und muss somit keine negativen Konsequenzen befürchten. Das ist für Whistleblower, die mit Namen öffentlich auf Missstände hinweisen, anders.

Ein Whistleblower riskiert unter Umständen gar eine Strafverfolgung.
Autor: Martin Hilti Geschäftsführer Transparency International Schweiz

«Whistleblower sind in der Schweiz ungenügend geschützt», sagt Martin Hilti, Geschäftsführer von Transparency International Schweiz. «Ein Whistleblower riskiert die Kündigung, er riskiert, dass er keine neue Stelle mehr findet, er riskiert gesellschaftliche Ächtung und unter Umständen gar eine Strafverfolgung.»

Dabei seien Whistleblower enorm wichtig, da sie Unstimmigkeiten aufdeckten, welche auch gesellschaftliche Auswirkungen haben können – etwa wenn durch Absprachen Steuergelder verschleudert würden.

Whistleblower-Gesetz: Es geht nur schleppend voran

Bundesbern hat 2003 den ersten Anlauf für ein Whistleblower-Gesetz genommen – bis heute ohne Erfolg. Der Bundesrat dürfte nach den Sommerferien einen neuen Anlauf nehmen und eine Botschaft verabschieden, wie es beim Bundesamt für Justiz heisst.

Mit dem Gesetz sollen Whistleblower vor Nachteilen, etwa Kündigung und Strafe, geschützt werden, wenn sie Unregelmässigkeiten in guten Treuen, also nicht missbräuchlich, melden. Zugleich sollen Whistleblower besser als heute abschätzen können, in welchen Fällen sie diesen Schutz tatsächlich geniessen.

Jederzeit top informiert!
Erhalten Sie alle News-Highlights direkt per Browser-Push und bleiben Sie immer auf dem Laufenden.
Schliessen

Jederzeit top informiert!

Erhalten Sie alle News-Highlights direkt per Browser-Push und bleiben Sie immer auf dem Laufenden. Mehr

Push-Benachrichtigungen sind kurze Hinweise auf Ihrem Bildschirm mit den wichtigsten Nachrichten - unabhängig davon, ob srf.ch gerade geöffnet ist oder nicht. Klicken Sie auf einen der Hinweise, so gelangen Sie zum entsprechenden Artikel. Sie können diese Mitteilungen jederzeit wieder deaktivieren. Weniger

Sie haben diesen Hinweis zur Aktivierung von Browser-Push-Mitteilungen bereits mehrfach ausgeblendet. Wollen Sie diesen Hinweis permanent ausblenden oder in einigen Wochen nochmals daran erinnert werden?

Meistgelesene Artikel