Der eine rechnet zu hohe Spesen ab, der andere diskriminiert Arbeitskollegen, der Dritte missbraucht seine Position. Solches Verhalten wollen Grosskonzerne mit internen Meldesystemen eindämmen.
Nestlé hat dafür das «Integrity Reporting System» eingerichtet: Mitarbeiter können anonym via Telefon oder Online-Kanäle melden, wenn sie Fehlverhalten beobachten oder Fragen zum Verhaltenskodex haben.
Wir sehen das als eine sehr positive Entwicklung.
Die Zahl solcher Meldungen steigt rasant: 2017 gingen weltweit 1725 Meldungen ein, das sind fast doppelt so viele wie 2014. Nestlé führt dies auf ein «erhöhtes Vertrauen» in das System zurück, das 2011 lanciert wurde. «Wir sehen das als eine sehr positive Entwicklung», sagt ein Nestlé-Sprecher.
Zahl der Kündigungen steigt rasant
In vielen Fällen bleibt es nicht bei der Meldung: 151 Personen haben Nestlé letztes Jahr in der Folge verlassen, das sind fünf Mal so viel wie 2014. Und 105 Personen wurden schriftlich verwarnt.
Weshalb die Zunahme? Es sei zu früh für klare Schlussfolgerungen, so der Sprecher. Es könne aber sein, dass Mitarbeiter mit zunehmendem Vertrauen ins System «mehr ernste Fälle melden».
Nur die wenigsten Firmen liefern Zahlen
Nur wenige geben so detailliert Auskunft wie Nestlé. Im internen Meldesystem von Roche gingen letztes Jahr 685 Meldungen ein. 131 Mitarbeiter mussten gehen, vier Geschäftspartnern wurde gekündigt. Bei Novartis waren es weltweit 2574 Hinweise von Mitarbeitern und Externen, 521 Mitarbeiter verliessen die Firma in der Folge.
Beim Baustoff-Riesen Lafarge-Holcim gingen 341 Hinweise ein, 37 Mitarbeiter haben das Unternehmen wegen Compliance-Verstössen verlassen. Und beim Genfer Warenprüfkonzern SGS mussten in acht Fällen Mitarbeiter ihr Pult räumen – nach 227 Hinweisen.
Der Grossteil aller anderen SMI-Firmen verfügt ebenfalls über interne Meldesysteme, gibt aber keine Zahlen bekannt. Auch Post, SBB und Migros verfügen über ein System, wie eine Umfrage von «ECO» zeigt.
Mehr Schutz für Whistleblower gefordert
Wer über interne Meldesysteme meldet, kann dies anonym tun. Und muss somit keine negativen Konsequenzen befürchten. Das ist für Whistleblower, die mit Namen öffentlich auf Missstände hinweisen, anders.
Ein Whistleblower riskiert unter Umständen gar eine Strafverfolgung.
«Whistleblower sind in der Schweiz ungenügend geschützt», sagt Martin Hilti, Geschäftsführer von Transparency International Schweiz. «Ein Whistleblower riskiert die Kündigung, er riskiert, dass er keine neue Stelle mehr findet, er riskiert gesellschaftliche Ächtung und unter Umständen gar eine Strafverfolgung.»
Dabei seien Whistleblower enorm wichtig, da sie Unstimmigkeiten aufdeckten, welche auch gesellschaftliche Auswirkungen haben können – etwa wenn durch Absprachen Steuergelder verschleudert würden.
Whistleblower-Gesetz: Es geht nur schleppend voran
Bundesbern hat 2003 den ersten Anlauf für ein Whistleblower-Gesetz genommen – bis heute ohne Erfolg. Der Bundesrat dürfte nach den Sommerferien einen neuen Anlauf nehmen und eine Botschaft verabschieden, wie es beim Bundesamt für Justiz heisst.
Mit dem Gesetz sollen Whistleblower vor Nachteilen, etwa Kündigung und Strafe, geschützt werden, wenn sie Unregelmässigkeiten in guten Treuen, also nicht missbräuchlich, melden. Zugleich sollen Whistleblower besser als heute abschätzen können, in welchen Fällen sie diesen Schutz tatsächlich geniessen.