Bettina Müller (Name anonymisiert) sitzt in ihrer kleinen Küche. Sie schaut auf ihr Smartphone und scrollt durch die offenen Stellen. Plötzlich erscheint eine Pushmeldung: «Das ist Coople», sagt sie, und liest die Nachricht vor.
«Du hast eine neue Arbeitsanfrage erhalten für Servicepersonal Agrimesse.» Servieren an vier Terminen während einer Messe. Jetzt kann sich Bettina Müller mit einem Klick aufs Smartphone bewerben oder die Stelle ablehnen.
Doch was ist Coople? Coople will verkuppeln. Über die Online-Plattform können Arbeitgeber kurzfristig Temporärstellen ausschreiben. Der Arbeitgeber gibt die Branche an, gewünschte Vorkenntnisse, Sprachen, Einsatzschichten, Arbeitsort und Lohn. Auf der anderen Seite können Arbeitsuchende ihren Lebenslauf abspeichern, Ausbildungen, Lieblingsarbeitstage und auch die gewünschte Arbeitsregion angeben.
Tinder für Arbeits- statt Liebesbeziehungen
Coople will wie Tinder zwei Partner zusammenbringen. Es geht aber nicht um ein Liebesabenteuer, sondern um ein Arbeitsverhältnis. Passt ein Arbeitsuchender zur Ausschreibung, erhält er eine Pushmeldung mit der Aufforderung, sich zu bewerben. Der Arbeitgeber erhält dann eine Liste aller Bewerber und kann auswählen, wen er für ein paar Stunden anstellen will – schnell und unkompliziert und ohne Bindung. Bezahlt wird auf Stundenbasis.
Wenn du nicht an allen Terminen kannst, bist du sowieso meist raus.
Bettina Müller lehnt das Angebot ab. Einer der Termine geht ihr nicht. «Wenn du nicht an allen Terminen kannst, bist du sowieso meist raus.» Sie ist 54 Jahre alt. Als junge Frau ist sie aus Deutschland in die Schweiz gekommen, der Liebe wegen. Sie hat hier zwei Kinder grossgezogen.
Jetzt, da diese erwachsen sind, möchte sie ihr eigenes Geld verdienen. Sie hat keine abgeschlossene Berufsausbildung. Darum sucht sie auf Coople Angebote, bei welchen sie auch ohne Ausbildung arbeiten kann. Sie arbeitet noch ein paar Stunden die Woche als Assistentin für körperlich behinderte Menschen.
Das Konzept von Coople hat sie fasziniert: Flexibel arbeiten, wann es ihr am besten passt. Sie bewirbt sich immer wieder auf Stellen, und erhält doch laufend Absagen. Sie gibt auch ihrem Alter die Schuld.
Bettina Müller erzählt, sie habe auf Coople eine Stelle als Promoterin gesehen. Für die Migros hätten sie in einer Filiale eine neue Apfelsorte bewerben sollen. Weil sie selbst gerne Äpfel isst, bewarb sie sich, bekam aber eine Absage. Ein paar Tage später ging sie in der Migros einkaufen und hat die Promoterin gesehen. «Eine junge Frau, ganz proper. Als über 50-Jährige passe ich halt nicht mehr ins Beuteschema.»
Ein Marktplatz für flexible Arbeit im Netz
In Zürcher Kreis 5, im ehemaligen Industriequartier, hat Coople seinen Sitz. Hier wird Englisch und Deutsch wild durcheinander gesprochen. «Changing how the world works» steht auf einem Pullover. Viktor Calabrò ist der Gründer und Verwaltungsratspräsident von Coople. Flexible Arbeit, das ist sein Thema: Bücher, Ted-Talks, Referate, Youtube-Clips – und Coople, die eigene Firma.
Wir wollen eine Community schaffen, die diese Flexibilität liebt. Aus welchem Grund auch immer.
Die Idee dafür entstand, als er eine Eventagentur führte. Er hatte immer wieder Mühe, kurzfristig Personal zu finden. Coople war geboren. «Wir wollen ein Marktplatz für flexible Arbeit sein. Wir wollen eine Community schaffen, die diese Flexibilität liebt. Aus welchem Grund auch immer», sagt Calabrò.
Einkünfte über dem Pensionskassenlimit
Er glaubt, dass der Markt für flexibles Arbeiten in den nächsten Jahren weiter wachsen wird. Es entspreche einem Bedürfnis, sowohl auf Arbeitgeber- wie auch auf Arbeitnehmerseite. Aber wenn immer mehr Firmen ihre festen Arbeitsstellen in Temporärstellen verwandeln, entsteht da nicht ein modernes Tagelöhnertum? «Man kann es positiv oder negativ auslegen. Es gibt Leute, die sich flexibles Arbeiten wünschen und die Möglichkeit dazu nicht haben.»
Wer heute unregelmässig bei vielen Arbeitgebern arbeite, werde bei der Altersvorsorge benachteiligt, sagt Calabrò. Denn er fällt wegen des sogenannten Koordinationsabzuges unter das Pensionskassen-Minimum.
Hier will Coople in die Bresche springen. Bei den Personen, die sich via Coople anstellen lassen, werden alle Verdienste zu einem Gesamtlohn zusammengerechnet. Und der wird dann pensionskassenpflichtig.
Calabrò sieht noch einen weiteren Vorteil im flexiblen Arbeiten. «Ich glaube nicht an die Sicherheit eines Arbeitgebers.» Auch grosse, angeblich sichere Firmen können plötzlich Konkurs anmelden oder Personal entlassen. «Ich bin viel sicherer, wenn ich zehn Arbeitgeber habe, als nur einen, der dann plötzlich weg ist», ist der Gründer der Coople-Plattform überzeugt.
Vermittlungsprobleme an den Festtagen
Coople scheint Erfolg zu haben. Bekannte Unternehmen gehören zu den Kunden, die regelmässig Stellen auf Abruf anbieten: Migros, Swisscom, Möbel Pfister, Axa, Zürcher Frauenverein. 12'000 Firmen sind bei Coople registriert. Ihnen gegenüber steht ein Heer von 300'000 Personen, die Arbeit suchen.
In städtischen Gebieten kann Coople über 98 Prozent der ausgeschriebenen Stellen besetzen. Knapp werde es um Weihnachten, wenn zum Beispiel ein Restaurant kurzfristig noch einen Koch brauche. Bei Stellen ausserhalb der Zentren oder wenn zu tiefe Löhne angeboten werden, dann kann es schwieriger werden, jemanden zu finden, erklärt Calabrò.
Branchen, die Coople abdeckt, sind Gastronomie, Hotellerie, Promotion, Detailhandel und kaufmännische Berufe. Oft geht es um Berufe im Tieflohnsegment. Gewerkschaften kritisieren immer wieder lautstark die sogenannte Plattformisierung der Arbeitswelt; ein Beispiel dafür ist der Taxi-Dienst Uber, der nationale Arbeitsgesetze zu umgehen versuche.
Coople sei aber nicht mit Uber vergleichbar, sagt Philipp Zimmermann von der Gewerkschaft Unia. Coople unterstehe wie alle Personalverleiher dem Gesamtarbeitsvertrag in der Temporärbranche.
Doch etwas anderes, das Coople von Uber übernommen hat, bereitet dem Gewerkschafter Mühe: die gegenseitige Bewertung. Nach jedem Arbeitseinsatz bewerten sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber gegenseitig mit einem bis vier Sternen.
Was hinter einer Bewertung steht, ist nicht nachvollziehbar.
Zimmermann kritisiert, das System gaukle Transparenz vor. «Aber was hinter einer solchen Bewertung steht, ist nicht nachvollziehbar.» Es sei kein Arbeitszeugnis. Ein solches müsse differenzieren und dürfe nicht negativ sein. Coople-Gründer Calabrò bestätigt, dass es immer wieder Fälle gebe, wo sich die beiden Partner nicht einig werden bezüglich der Anzahl Sterne. Wenn es Streit gebe, dann könne Coople die Bewertung auch wieder löschen.
Frust wegen fehlender Planungssicherheit
Zurück in der Küche von Bettina Müller. Auch sie hat Mühe mit Bewertungen. «Ich habe einmal nach einem Einsatze drei Sterne bekommen. War das jetzt gut oder nicht? Ich habe mir ja Mühe gegeben.»
Es habe etwas Willkürliches, sagt sie. Und das dauernde Bewerben, Warten und dann doch eine Absage erhalten, beginne sie langsam zu stressen. «Du behältst dir ja die Termine frei. Schlussendlich bekommst du doch die Absage. Das ist frustrierend.»
Du behältst dir ja die Termine frei. Schlussendlich bekommst du doch die Absage. Das ist frustrierend.
Für sie ist das flexible Arbeiten zu einem Unsicherheitsfaktor geworden. Sie hat ausgerechnet, dass sie eigentlich auf jede zwei Bewerbungen eine Zusage erhalten sollte, damit es sich finanziell lohnt. Diese Quote hat sie nie erreicht. «Coople gibt mir zu wenig Planungssicherheit.» Darum sucht sie sich nun eine feste Anstellung. Sie und Coople – das war keine Liebesbeziehung auf Dauer.