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Die Krux mit dem Trinkgeld-Vorschlag
Aus 10 vor 10 vom 17.08.2022.
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Funktion auf Bezahlterminals Trinkgeld-Vorschläge – aufdringlich oder eine Erleichterung?

Gastronomen setzen neu auf eine digitale Trinkgeldfunktion, die aus den USA bekannt ist. Das könnte ein Fehler sein.

Mehr bargeldloses Zahlen, weniger Trinkgeld. Das ist eine Konsequenz der Covid-Pandemie. Laut eines aktuellen Papers des britischen «Journal of Behavioral and Experimental Economics» geben bis zu einem Fünftel weniger Konsumentinnen und Konsumenten überhaupt Trinkgeld, wenn sie mit der Karte statt bar bezahlen.

Eine Reihe von Schweizer Gastronomen und Gastronominnen versucht jetzt, mit einer neuen Funktion die Trinkgelder ins Digitale hinüberzuretten. Auf den Bezahl-Displays werden Gästen Prozentbeträge vorgeschlagen. Es ist auch möglich, kein Trinkgeld zu geben.

Bezahlterminal.
Legende: 5, 10 oder 15 Prozent? Gastro-Unternehmen wollen das Trinkgeld auf bei Kartenzahlung erhalten. SRF

USA-Reisende kennen dieses System seit Längerem. Dort ist Trinkgeld fester Bestandteil des Einkommens für die Angestellten des Gastgewerbes. Es fällt zudem deutlich höher aus als in Europa: 20 Prozent sind selbstverständlich.

In der Schweiz ist die Lage anders – eigentlich. Seit bald 50 Jahren gelten Trinkgelder in der Schweizer Gastronomie als abgeschafft. Dennoch geben gemäss einer Studie der Bank Cler vom Juni 2022 rund 95 Prozent der Schweizer Einwohner und Einwohnerinnen Trinkgeld.

Verhaltensökonom Gerhard Fehr, Mitbegründer des Beratungsunternehmens Fehr Advice, gibt der amerikanischen Lösung für die Schweiz keine grosse Chance. Sie entspreche nicht der Art, wie man hierzulande Trinkgeld gebe: «Nur 50 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer geben einen festen Prozentsatz der Rechnungssumme als Trinkgeld.» 30 Prozent runden auf, 20 Prozent gehen nicht systematisch vor. «Und man kann sich nicht erlauben, 50 Prozent der Kundschaft zu vergraulen.»

Trinkgeld: Nicht ausrottbare Norm

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1974 erklärte der Bundesrat den Gesamtarbeitsvertrag für verbindlich, auf den sich Verbände und Gewerkschaften (Wirteverband, Hotelier-Verein, Organisation der alkoholfreien Betriebe, Gewerkschaft der Hotel- und Restaurantangestellten) geeinigt hatten.

In diesem hatte man die Regelung «Service inbegriffen» beschlossen. «Overtip» sollte vermieden werden, die Gastronomieangestellten nicht mehr abhängig sein von Trinkgeld.

Dennoch hören die Gäste bis heute nicht auf, Trinkgeld zu geben. Es ist eine soziale Norm, die sich weiterhin hält.

Schon im 19. Jahrhundert hatte man versucht, das Trinkgeld abzuschaffen. Auch damals vergeblich.

Sein Vorschlag: Man sollte stattdessen eine Ja/Nein-Funktion einrichten und anschliessend ein freies Feld lassen. Das symbolisiere am ehesten die Freiwilligkeit, die man gewohnt sei.

In Zürich ist die Trinkgeldfunktion bereits häufig zu finden, etwa bei Frau Gerolds Garten. In diesem Betrieb kann man seit der Pandemie nur noch mit Karten zahlen. Der Selbstbedienungsbetrieb bietet auf seinen Terminals eine Auswahl zwischen 5, 10 und 15 Prozent Trinkgeld an. Auch kein Trinkgeld oder ein frei wählbarer Betrag sind möglich. Man habe nach Lösungen gesucht, weil mit den Kartenzahlungen die Trinkgeldbeträge «extrem stark» zurückgegangen seien.

Mitinhaber Tom Maurer sagt: «Wir wollen niemanden dazu drängen, Trinkgeld zu geben. Wir wollen nur denjenigen, die wollen, die Möglichkeit geben, dass sie wieder Trinkgeld zahlen können.» Negative Reaktionen habe er bisher nicht erhalten. Man sei jetzt wieder bei rund 5 Prozent Trinkgeld – wie vor der Pandemie.

Andere angefragte Betreiber zögern, diese Funktion einzuführen. Rudi Bindella, Leiter der Bindella-Gruppe mit mehr als 30 Betrieben, schreibt: «Wir finden es für den Gast nicht passend, dass er im Zahlungsprozess entscheiden muss, wie viel Prozent er als Trinkgeld geben muss oder soll.» Und Michel Péclard, dem 15 Betriebe gehören, schreibt, man halte diese Funktion für zu unpersönlich. «Ich finde in der Gastronomie den Menschenkontakt schon noch wichtig.»

Genau dieser Menschenkontakt ist es übrigens, der Kunden und Kundinnen veranlasst, überhaupt Trinkgeld zu geben. Gerhard Fehr sagt: «Studien zeigen, dass Kellnerinnen und Kellner, die sich mit ihrem Namen persönlich zu Beginn vorstellen, im Schnitt 50 Prozent mehr Trinkgeld zu erwarten haben.»

Auch die Bestellung noch einmal gemeinsam zu erörtern, erhöhe das Trinkgeld um 70 Prozent. Ebenso, am Schluss ein Smiley mit einem Dankeschön auf die Rechnung zu zeichnen. «Und ganz wichtig: Am stärksten wirkt ein authentisches Lächeln. Hier kann man fast von einer Verdoppelung des Trinkgeldes ausgehen.»

10vor10, 17.8., 21.50 Uhr

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