In Schaufenstern von Spielwarenläden in Zürich wird schnell klar, welche Produkte an Mädchen und welche an Buben gerichtet sind. Auf der Verpackung eines Spielzeugbaggers sind Buben abgebildet, auf einem pinken Planschbecken zwei Mädchen. Solches Gender-Marketing ziele schon auf sehr kleine Kinder ab, sagt Johanna Gollnhofer, Marketing-Professorin an der Universität St. Gallen.
«Beim Gender-Marketing geht man davon aus, dass unterschiedliche Geschlechter unterschiedliche Bedürfnisse haben», sagt sie. Das mache teilweise auch Sinn. So hätten Frauen etwa bei der Haarpflege andere Bedürfnisse als Männer oder eine höhere Zahlungsbereitschaft für Produkte mit schönerem Design.
Bei Kindern sei die Unterscheidung zwischen den Geschlechtern allerdings fraglich. Johanna Gollnhofer zeigt auf den Spielzeugbagger im Schaufenster, auf dem ein Junge abgebildet ist. Sie sagt: «Wenn sich ein Mädchen die Verpackung anschaut, könnte es sich fragen: ‹Ist der Bagger eigentlich auch für mich gedacht?›»
Gender-Marketing funktioniert
Die Verantwortung für geschlechtsneutralere Rollenbilder liege aber nicht nur bei den Herstellern und den Spielwarenhändlern, sagt Johanna Gollnhofer. Sondern natürlich auch bei den Eltern, die ihren Kindern solche Produkte kauften. Offenbar bestehe eine Nachfrage nach solchen Spielzeugen.
Klar ist: Gender-Marketing funktioniert. Studien zeigen, dass sich Produkte besser verkaufen, wenn sie gezielt Mädchen oder Buben, respektive Frauen oder Männer, ansprechen. Es gibt sogar einen Fachbegriff dafür. «Pinking-up» nennt man das in der Marketing-Sprache. Es bedeutet so viel wie: Wenn sich ein Produkt für Mädchen nicht verkauft, macht man es pink und schon wird es gekauft.
Grosse Konzerne verdienen viel Geld
Mit Gender-Marketing wird sehr viel Geld verdient. Zahlen gibt es nicht, weil ja nicht gemessen werden kann, wie gut sich ein Produkt in einer anderen Farbe verkauft hätte. Aber allein der Spielwarenmarkt ist ein Milliardengeschäft - von Kinderkleidern, der Film- und Gamingindustrie noch abgesehen. Fast überall spielt das Gender-Marketing hinein.
Vorne mit dabei ist der Medienkonzern Disney. Er hat sich nach und nach beliebte Filmfiguren einverleibt, wie zum Beispiel Ironman oder Spiderman. Disney verdient mit Lizenzgebühren für Filmfiguren Geld. Wenn etwa ein Duschgel mit einer Eisprinzessin oder Bettwäsche mit Superhelden verkauft wird, verdient Disney jedes Mal mit. Allein letztes Jahr hat Disney mit solchen Lizenzgebühren rund 56 Milliarden US-Dollar eingenommen, wie der Schweizer Spielwarenverband schätzt.
Mit Gender-Marketing durch den Tag
Ein anderer, deutlich kleinerer, aber immer noch grosser Player im Markt ist Lego – mit einem Umsatz von 8.4 Milliarden Euro. Ein anderer wichtiger Hersteller ist Mattel, der unter anderem Barbiepuppen herstellt, mit einem Umsatz von 5.4 Milliarden US-Dollar.
Unterdessen begleitet Gender-Marketing die Kinder den ganzen Tag. Vom Duschgel übers Frühstücksmüsli bis zur Gutenachtgeschichte. Mit Gender-Marketing wird viel Geld verdient. Denn es wird nicht nur bei Produkten für Kinder, sondern auch bei Haushaltsartikeln, Werkzeugen oder Pflegeprodukten angewendet. So sind Parfums für Frauen eher rosa oder pink verpackt, jene für Männer eher blau oder schwarz.
Unser Hirn liebt Stereotypen
Gender-Marketing sei für unser Hirn sehr bequem, sagt Neuromarketing-Experte Philipp Zutt. Deshalb funktioniere es so gut. Unser Hirn denke gerne in Mustern, sagt er. «Wenn wir wissen: Ich muss in die 'rosa Abteilung' und finde dort die Produkte für mich, dann erleichtert das uns das Leben.»
Hinzu komme der sogenannte «Mere-Exposure-Effekt», den sich das Marketing zunutze mache. «Wenn ich als Mädchen immer höre, dass Rosa für Mädchen ist, dann mag ich als Mädchen Rosa auch», sagt Philipp Zutt.
Gender-Marketing ist schädlich.
Gender-Marketing wird aber auch kritisiert. Dominique Grisard ist Geschlechterforscherin an der Universität Basel. Sie sagt: «Gender-Marketing ist schädlich.» Denn es helfe mit, dass stereotype Rollenbilder immer wieder erneuert werden. Etwa das Bild von Frauen und Mädchen, die das Gefühl haben, schön und schlank sein zu müssen. «Weiterhin zentral ist auch die Vorstellung, Frauen seien diejenigen, die sich um andere kümmern müssten.» So werde etwa die Erwartungshaltung aufrechterhalten, dass sehr viel unbezahlte Arbeit von Frauen geleistet werde. Dies habe Folgen bis hin zur Berufswahl von jungen Frauen und Männern.
Für Buben und Männer sei Gender-Marketing genauso schädlich, sagt sie. Auch sie würden in stereotype Rollenbilder gedrängt, etwa in die des Ernährers, der keine Schwäche zeigen darf und stets stark sein muss, sagt Dominique Grisard. «Damit haben auch Spielfiguren in Form von Superhelden, Piraten und Feuerwehrmännern zu tun, die sich stets Gefahren aussetzen.» Studien zeigen, dass Männer auch später mehr Risiken eingehen und sich weniger um ihre Gesundheit kümmern als Frauen.
Gegentrend mit geschlechtsneutralen Produkten
Veraltete Rollenbilder werden derzeit hinterfragt und Geschlechteridentitäten sind ein grosses Thema. Trotzdem ist Gender-Marketing nach wie vor präsent. Es gibt allerdings auch einen Gegentrend mit geschlechtsneutralen Produkten.
So sieht man in den Schaufenstern von Spielwarenläden in Zürich auch vereinzelt Spielzeuge in neutralen Farbtönen. Die Hersteller solcher Produkte sprechen ein Publikum an, das gezielt geschlechtsneutrale Produkte sucht. Im Kleinen funktioniert dies sehr gut und auch damit lässt sich Geld verdienen. Es ist allerdings noch nicht die grosse Masse, sondern eine Nische.