Der renommierte Entwicklungsökonom Dani Rodrik von der Harvard University steht einem totalen Freihandel kritisch gegenüber und fordert fairere Regeln für die Globalisierung. Freihandel, Demokratie und nationale Souveränität seien nicht als Paket zu haben, man müsse sich gegen eines der drei entscheiden, lautet eine seiner Thesen. SRF News hat Rodrik in Zürich am UBS International Center of Economics in Society auf die Entwicklung in Zeiten von Brexit und America First angesprochen.
SRF News: Die Globalisierung provoziert in vielen Ländern Widerstand. Sie sehen die Globalisierung kritisch. Sind Sie glücklich darüber, dass sich die Menschen wehren?
Dani Rodrik: Nein, ich bin nicht glücklich über den Rückschlag. Ich finde aber, dass der Widerstand gegen die Globalisierung keine Überraschung ist. Die Eliten, Technokraten und Politiker haben sich blenden lassen. Sie tun überrascht. Sie hätten aber aus Geschichte und Theorie wissen müssen, dass Globalisierungsprozesse Gesellschaften spalten. Es gibt Verlierer und Gewinner. Nationalstaaten-Fans stehen Weltbürgern gegenüber. Die Globalisierung hat diese Differenzen verstärkt.
Was läuft schief?
Da kommt einiges zusammen: Das Establishment glaubt, alle würden wie sie von der Globalisierung profitieren. Wenn andere nicht profitieren, sagen sie: Selber schuld, ihr arbeitet nicht hart genug, passt euch nicht an und bildet euch nicht weiter. Die Gewinner moralisieren und werfen den Verlierern vor, selber schuld an ihrer unglücklichen Lage zu sein.
Dadurch fühlen sich die Verlierer der Globalisierung nicht nur im Stich gelassen, sondern auch noch beleidigt. Die Eliten sind global zwar zusammengerückt, zuhause aber haben sie sich von ihren Bevölkerungen entfernt. Das ist ein Paradox und hat vielerorts zu einer politischen Misere geführt, die jetzt von Demagogen und Populisten ausgenutzt wird.
Was wäre zu tun, um die Gewinne aus der Globalisierung zu bewahren und gleichzeitig die Schattenseiten derselben loszuwerden?
Es geht nicht darum, das Rad zurückzudrehen. Es geht darum, die Globalisierung auszubalancieren. Die Globalisierung fällt ja nicht vom Himmel. Wir Menschen machen die Regeln dafür. Es gibt Regeln für Banken, Investoren, Handel, Unternehmen. All das bestimmen wir. Deshalb müssen wir zurück ans Reissbrett, um fairere Regeln für die Globalisierung zu definieren. Fairer für Gesellschaften und Arbeiter, denen sie dienen soll. Fairer auch für die Entwicklungsländer, die Raum brauchen, um sich entwickeln zu können – ohne allzu viele internationale Regeln.
Europa ist wirtschaftlich bereits stark integriert. Kapital, Güter, Dienstleistungen und Menschen zirkulieren frei. Gegen die Personenfreizügigkeit gibt es aber viel Widerstand. Wieso?
Wirtschaftliche Integration geht solange gut, als diese vier Freiheiten von sozialen Regeln begleitet werden, also Standards für den Arbeitsmarkt, Sozialversicherungen für alle, Regeln für den Wettbewerb. Wirtschaftliche Integration ohne eine gewisse politische und soziale Integration funktioniert hingegen nicht. Das ist das Problem der EU: Es gibt einen integrierten Markt und eine gemeinsame Währung, aber kaum sozialen und politischen Zusammenhalt. Das ist unausgewogen und wird so keinen Bestand haben.
Ist das der Grund, dass der rechte Populismus in Europa zurzeit auf dem Vormarsch ist?
Ich denke ja. In Europa hat das Establishment der Bevölkerung lange vorgegaukelt, dass man die Früchte der Globalisierung ernten könne, ohne an nationaler Souveränität und Demokratie Abstriche zu machen. Das stimmt aber nicht. Immerhin geben die rechten Populisten zu, dass man nicht alles haben kann. Sie stehen dazu, dass ihnen nationale Souveränität wichtiger ist als eine Hyper-Globalisierung. Auch wenn ich deren Weltbild nicht teile: Die rechten Populisten sind ehrlicher als die Eliten, wenn es darum geht, die negativen Auswirkungen der Globalisierung zu benennen.
Die Schweiz hängt vom internationalen Handel ab, geht aber einen eigenen Weg. Was halten Sie davon?
Die Schweiz ist ein interessanter Fall. Einerseits ist sie stark in die Weltwirtschaft integriert, andererseits kennt sie eine direkte Demokratie und blieb abseits der extremen Hyper-Globalisierungsprojekte: Die Schweiz ist der EU nicht beigetreten. Die Schweiz illustriert sehr schön, dass man wirtschaftlich erfolgreich sein kann, ohne die Kontrolle über alle Standards oder die monetäre Hoheit abzugeben. Die Schweiz ist ein gutes Modell für viele Länder, wie man mit Globalisierung umgehen kann.
Glauben Sie persönlich daran, dass wir die Regeln für die Globalisierung so verändern können, dass sie von den Menschen besser akzeptiert wird?
Ja, das tue ich. Ich glaube stark an die Kraft des Kapitalismus. Und dass sich der Kapitalismus reformieren kann. Wir sind dazu fähig. Weil die Globalisierung ja eben nicht vom Himmel fällt. Wir sind dauernd daran, Globalisierung zu gestalten und zu verändern. Wir können vieles besser machen, als wir es heute tun.
Das Interview führte Charlotte Jacquemart.