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Hohe Preise für Bioware Schweizer Tierschutz kuscht vor Migros und Coop

Ein Kadermann will gegen die hohen Preise für Biofleisch von Migros und Coop vorgehen – und wird von der Leitung des Vereins gestoppt. Er wirft dem Tierschutz einen Interessenskonflikt vor.

Mitte Juni war der letzte Arbeitstag von Stefan Flückiger als Geschäftsleitungsmitglied bei der grössten Schweizer Tierschutzorganisation. Gegenüber SRF sagt der ehemalige Leiter Agrarpolitik: Er habe gekündigt, weil er seine Projekte für einen höheren Absatz von Label- und Biofleisch nicht weiterführen konnte.

Dabei hatte Flückigers Arbeit beim Schweizer Tierschutz (STS) in den letzten Jahren zu reden gegeben: Zwei Studien, die er in Auftrag gab, kamen zum Schluss, Migros und Coop würden überhöhte Preise für Label- und Biofleisch verlangen – zulasten der Bauern und der Konsumentinnen.

Der Plan: Anzeige bei der Weko

Laut Flückiger sind die Bauern abhängig von Migros und Coop, weil deren Marktanteile bei Labelprodukten zwischen 50 Prozent bei Poulet und 85 Prozent bei Kalbfleisch liegen. Migros und Coop widersprachen den Studien und sagten, sie würden nicht mehr mit Labelprodukten verdienen. Die Zahlen halten die Konzerne aber geheim.

Video
Aus dem Archiv: Maulkorb für Schweizer Preisüberwacher
Aus 10 vor 10 vom 23.12.2022.
abspielen. Laufzeit 5 Minuten 35 Sekunden.

Tierschutz-Kadermann Stefan Flückiger wollte die Grossverteiler darum zu Transparenz zwingen. Sein Plan: Eine Anzeige bei der Wettbewerbskommission (Weko) gegen Migros und Coop.

Stefan Flückiger sitzt an Bürotisch und spricht zu jemand ausserhalb des Kamerabildes
Legende: Ex-STS Kadermann Stefan Flückiger SRF

Seit 2022 hat die Weko einen neuen Hebel, um gegen Firmen vorzugehen, die sie verdächtigt, ihre Marktmacht zu missbrauchen: den Tatbestand der «relativen Marktmacht». Er wäre gegeben, wenn die Weko zum Schluss käme, dass die Bauern neben den Giganten Migros und Coop auf zu wenige andere Abnehmer ausweichen können. Bei einem Verfahren der Wettbewerbsbehörde wären Migros und Coop verpflichtet, ihre geheim gehaltenen Kalkulationen der Weko offenzulegen.

«Die Bauern sind abhängig von den Grossverteilern»

Ende vergangenen Jahres führte Flückiger Gespräche mit dem Bauernverband für den gemeinsamen Gang zur Weko. Der Bauernverband aber habe eine Anzeige abgelehnt. «Die Bauern sind abhängig vom Handel», sagte Flückiger damals. Für den Bauernverband sei das ein heikles Thema. Der Schweizer Tierschutz dagegen wolle vorwärtsmachen mit der Anzeige.

Auswahl an Fleischprodukten im Kühlregal
Legende: Fleischprodukte in einer Basler Coop-Filiale (Bild: 2013) KEYSTONE/Christian Beutler

Nun stellt sich heraus: Der Agronom hat sich getäuscht. Die anderen Mitglieder der Geschäftsleitung lehnten es ab, die Wettbewerbskommission einzuschalten. Kadermann Stefan Flückiger wirft dem Tierschutz einen Interessenskonflikt vor.

Migros und Coop sind nämlich Kunden. Die Konzerne bezahlen dafür, dass Fachleute des Tierschutzes Kontrollen auf Transporten von Labeltieren und in den Schlachthöfen der Tochterfirmen Micarna und Bell machen. Flückiger dazu: «Die Telefone sind heiss gelaufen nach der Publikation der Studien.»

Wer steht den Grossverteilern auf die Füsse, wenn wir es nicht tun?
Autor: Martina Munz SP-Nationalrätin und Mitglied im STS-Zentralvorstand

Kuscht der Schweizer Tierschutz vor Migros und Coop? «Leider kann man das so sagen», meint SP-Nationalrätin Martina Munz. Sie ist Mitglied im STS-Zentralvorstand und amtet als Verwaltungsrätin. «Wer steht den Grossverteilern auf die Füsse, wenn wir es nicht tun?»

Martina Munz spricht zur Kamera
Legende: Martina Munz vom STS-Zentralvorstand SRF

Der Mediensprecher des Schweizer Tierschutzes bestreitet jedoch einen Interessenskonflikt. Er schreibt: «Die Nutztierkontrollen des STS erfolgen völlig unabhängig und die Kontrolltätigkeit wird streng von Tierwohl-Kampagnen des STS oder Kritik an den Detailhändlern getrennt.»

Warum also lehnt der Tierschutz die von Kadermann Flückiger seit zwei Jahren geplante Anzeige vor der Wettbewerbskommission ab? Der Mediensprecher will die Nachfrage nicht beantworten.

Auch über die Höhe der jährlichen Einnahmen von Migros und Coop schweigen sowohl der Schweizer Tierschutz sowie die Grossverteiler. Auf Nachfrage gibt der Verein bekannt: Beim Posten «Diverse Erträge» in der Jahresrechnung über 817'000 Franken handle es sich «grösstenteils» um Erträge des Kontrolldienstes. Neben Migros und Coop sind auch Bauern und Labelorganisationen Kunden des Kontrolldienstes.

Neue Meldestelle für Bauern

Ex-Tierschutz-Mann Stefan Flückiger führt seinen Kampf für mehr Transparenz nun als Selbstständiger weiter: Zusammen mit Oekonom Mathias Binswanger hat er den Verein «Faire Märkte Schweiz» gegründet. Eine Meldestelle für Bauern. Sie können die Preise, die der Handel für ihre Produkte zahlt, kostenlos überprüfen lassen.

10vor10, 04.07.2023, 21:50 Uhr

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