Am Anfang stand das Silicon Valley. Die digitalen Giganten aus Kalifornien wie Google, Facebook oder Amazon stellen ganze Branchen auf den Kopf, sind mitverantwortlich für die digitale Disruption. Heute eifern alle dem kalifornischen Vorbild nach und wollen auch Hotspot für digitale Innovation werden – so auch Zürich. Wo steht die grösste Schweizer Stadt?
Als Vorbild auf dem europäischen Parkett gilt Berlin. In der deutschen Hauptstadt wimmelt es von jungen Wilden mit grossen Plänen. Berlin ist mittlerweile einer der weltweit führenden Hubs im Digitalbereich. Auch Schweizer fühlen sich vom Berliner Aufbruchsgeist angezogen. Einer davon ist Marc Wyss. Sein Start-up entwickelt eine Online-Reiseplattform. Touristen können über die App Ausflüge buchen. Das Zückerchen: Sie können sich vor dem Ticket-Kauf ein 360-Grad-Video des Orts ansehen.
Viel Risikokapital in Berlin, wenig in Zürich
Doch was bewegte den jungen Schweizer dazu, für sein Start-up ins nördliche Nachbarland auszuwandern? Für ihn war die Kostenfrage relevant. «Wir wussten schon vor der Gründung, dass wir viele Personen in den Bereichen Vertrieb und Marketing anstellen würden. Bei Löhnen und Mietpreisen ist Berlin einfach günstiger als Zürich.»
Aber nicht nur die tiefen Kosten, sondern auch das hippe Image und die vielen Investoren, die dieses anzieht, machen Berlin attraktiv. Im europäischen Vergleich ist nirgends so viel Risikokapital vorhanden wie in Berlin. Zürich hingegen hinkt weit hinterher.
Der mehrfache Gründer und Fintech-Investor Marc Bernegger investiert in Startups in Berlin und in Zürich. «Grundsätzlich findet eine gute Idee immer Kapital, deshalb ist die Frage, ob die Ideen auch immer die richtigen sind. Im Digitalbereich wäre es aber sicher hilfreich, wenn man in der Schweiz mehr Kapital zur Verfügung hätte.»
Zürich biete gute Rahmenbedingungen für Start-ups, so Bernegger weiter. Dennoch gäbe es noch Luft nach oben. Das findet auch Urs Häusler, selbst Gründer eines Internet-Start-ups und Präsident der Swiss Start-up Association: «Wir bilden mit der ETH und EPFL in der Schweiz zwar Top-Talente aus. Gleichzeitig schicken wir viele Nicht-EU-Studenten wieder weg, sobald sie kein Studentenvisum mehr haben.»
Investor Bernegger weist ebenfalls auf den erschwerten Zugang zu ausländischen Talenten hin, zudem erwähnt er die Ausgestaltung der Arbeitslosenversicherung als Hemmnis. Viele würden den Schritt in die Selbstständigkeit auch deshalb nicht wagen, weil sie im Fall des Scheiterns keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld hätten. In Anbetracht der risikoscheuen Mentalität der Schweizer könne dies einen Entscheid massgebend beeinflussen.
Nischen bieten grosse Chancen
Aber: Würden die Verbesserung dieser Rahmenbedingungen ausreichen, um Zürich auf Augenhöhe mit Berlin oder London zu heben? Für Bernegger ist dieser Anspruch vermessen: «Die Ambition sollte gar nicht unbedingt sein, mit Berlin und London zu konkurrieren, sondern sich in gewissen Nischen zu positionieren und dort global erfolgreiche Firmen aufzubauen.»
Etwa im Bereich Blockchain habe der Grossraum Zürich und insbesondere Zug eine hervorragende Ausgangslage. Auch im Finanzbereich bestünden für Zürich mit der Tradition des starken Finanzplatzes gute Chancen für Fintech-Start-ups. Bisher nehme Zürich hier allerdings noch nicht die Rolle ein, die man erwarten würde.
Viel wichtiger als politische Rahmenbedingungen und Verbände sei letztlich jedoch der Unternehmergeist. Laut Bernegger fehlt in Zürich ein ähnlicher Groove wie in Berlin: «Wir brauchen in Zürich noch mehr leidenschaftliche und global denkende Unternehmer, die die Welt verändern wollen.»