Wer in Ungarn in bestimmten Branchen eine Firma aufbaut und zum Blühen bringt, der hat gute Chancen, plötzlich unerwarteten Besuch zu bekommen. Meist sind es zwei bis drei Männer, fast immer Mitglieder oder Freunde der Regierungspartei Fidesz. Nach kurzer Begrüssung machen sie ein Übernahmeangebot.
Wenn der Firmenbesitzer ablehnt, bekommt er wenig später Besuch von einem Steuerinspektor. Dieser beginnt die Firma zu schikanieren oder lässt sie gar temporär schliessen. Solange, bis der Besitzer in den Verkauf einwilligt. «Viele sind wegen solcher Erpressungen zu mir gekommen», erzählt der Parlamentarier Ákos Hadházy. Und auch die Wirtschaftsjournalisten Ungarns kennen viele Geschichten dieser Art.
Beziehung zur Macht wird belohnt
Die Regierungspartei und ihre Freunde reissen sich vorzugsweise Firmen unter den Nagel, die lukrative Staatsaufträge holen können. Etwa in der Bauwirtschaft. Das Ergebnis ist eine Wirtschaft, in der nicht die besten Firmen den Auftrag erhalten, sondern jene mit den besten Beziehungen zur Macht.
Aufgekauft werden seit Jahren auch kritische Medien. Nach der Übernahme werden sie entweder eingestellt, wie die Zeitung Népszabadság, oder in Propagandaorgane von Fidesz umgewandelt, wie der Fernsehsender Hír-TV.
Mittlerweile sind rund 90 Prozent aller ungarischen Medien unter Fidesz-Kontrolle.
Woher das Geld für die Übernahmen kommt, ist oft unklar. Nicht für Regierungskritiker Hadházy: Die Fidesz-Leute hätten mit manipulierten Vergaben von Staatsaufträgen «unglaublich viel Geld gestohlen», sagt der Parlamentarier. «Jetzt müssen sie mit diesem Geld etwas tun.»
Das sei alles nur üble Nachrede der Opposition, sagt Regierungssprecher Zoltán Kovács im Interview mit «ECO». Alles laufe völlig legal. «Wenn eine Firma gut geführt wird, dann spielt es keine Rolle, welcher Partei der Besitzer angehört.»
Missbrauch von EU-Fördergeldern?
Doch Korruption bleibt ein grosses Thema in Ungarn. Laut der europäischen Korruptionsbehörde OLAF werden in keinem EU-Land so viele Fördergelder aus Brüssel missbraucht wie in Ungarn. Beispiele gibt es zu Hauf: Als die Strassenlampen in 35 Städten auf LED-Glühbirnen umgestellt wurden, ging der mit EU-Millionen finanzierte Grossauftrag an die Firma von István Tiborcz, Schwiegersohn von Ministerpräsident Orban. Beim Bau der Autobahnen liefert den Kies auffallend oft die Firma von Győző Orban, dem Vater des Regierungs-Chefs.
Die Frage, ob Fidesz nach der «illiberalen Demokratie» auch eine «illiberale Wirtschaftsordnung» baue, bejaht Regierungssprecher Kovács: «Premierminister Orban hat den Begriff «illiberal» zuerst im Zusammenhang mit der Wirtschaft verwendet. Das Scheitern der liberalen Wirtschaftsordnung ist weltweit offensichtlich. An ihrer Stelle schlagen wir im Rahmen des europäischen Rechts eine Wirtschaftsordnung vor, die dem nationalen, ungarischen Interesse folgt. Und das funktioniert.»
«Ein krankes politisches System»
Ganz anders sieht das Oppositionspolitiker Ákos Hadházy. «Brüssel muss endlich erkennen, dass das ein krankes politisches System ist. Und es wird mit europäischen Fördergeldern am Leben gehalten. Brüssel muss dafür sorgen, dass die Regierung dieses Geld nicht mehr stehlen kann.»