Canary Wharf an der Themse in London: Früher legten hier die Frachtschiffe an. Heute stoppt die Hochbahn bei einer gigantischen Ansammlung von Bürotürmen. Die Logos der Finanzkonzerne prangen an den Fassaden aus Stahl und Glas.
Der Lift im Wolkenkratzer «One Canada Square» fährt hinauf zum 39. Stock. «Level 39» – so heisst auch der Technologie-Inkubator, ein Brutkasten für fast 200 IT-Start-ups. Cyber-Sicherheit, Big Data, elektronische Zahlungssysteme, Krypto-Währungen sind deren Themen. Mit dabei ist die Schweizer Grossbank UBS. Auch sie hat hier ein Büro.
Anfängliche Skepsis verflogen
Der IT-Spezialist Alex Batlin leitet für die UBS das Innovationslabor. An einer Trennwand aus Glas kleben bunte Post-it-Zettel mit Stichworten wie «new trust», «new money» und «blockchain».
Batlin analysiert mit seinem sechsköpfigen Team, was die neue Blockchain-Technologie für die Finanzwelt und für die UBS bedeuten könnte. Anfänglich sei er skeptisch gewesen, sagt er. Dann habe er das Potenzial erkannt. Das sei wie beim Testfahren von Prototypen in der Autoindustrie: Bevor man den Wagen nicht selbst ausprobiert habe, könne man auch nicht sagen, was er tauge.
Blockchain: Jeder seine eigene Bank?
Interessant ist Blockchain für Banken wie die UBS, weil man damit Daten und Transaktionen ohne die Kontrolle durch eine zentrale Instanz fälschungssicher machen kann. Das schafft ganz neue Möglichkeiten.
Auch solche, die die Existenz traditioneller Banken in Frage stellen: Was wäre, wenn mit Blockchain jeder seine eigene kleine Bank aufmachen könnte? Blockchain macht das durch die elektronisch sichere Verschlüsselung der Information technisch möglich.
So können immer alle in der neuen digitalen Finanzwelt vom gleichen Stand der Dinge ausgehen. Darum eignet sich die Technologie auch für die Entwicklung digitaler Währungen wie Bitcoin, oder für die Abwicklung von milliardenschweren Transaktionen im Wertschriftenhandel.
Das radikal Neue sei, dass die Geschäfte in aller Öffentlichkeit abgewickelt werden, erklärt Batlin. «Stellen Sie sich vor, Sie sind in einem riesigen Raum mit 100 Leuten. Jede Transaktion wird laut ausgerufen. Alle im Raum führen ihre eigene Buchhaltung. Dann bestätigt jeder laut die Transaktion und sagt: Ja, akzeptiert.»
Alle zehn Minuten würde sich das wiederholen, und alle würden sich auf den neuesten Stand einigen, so Batlin. Der Unterschied sei nur, dass eine Blockchain-Software auf weltweit verstreuten Computer-Servern diese Arbeit erledige.
«Smarter» Obligationenhandel
Batlin und seine UBS-Kollegen beschreiben Blockchain als «trust engine», als Vertrauens-Maschine. Doch kann man dieser Maschine wirklich trauen?
Keine Technologie sei 100 Prozent sicher, antwortet Batlin. Wichtig sei es, die Sache langsam anzugehen. Darum nehme sich sein Team die Zeit, um die Stärken und Schwächen von Blockchain auszuloten.
Experimentiert hat Batlin bereits mit einer Art Blockchain-Obligation: Im Unterschied zu herkömmlichen Obligationen übernehmen diese Smart-Bonds die Zinszahlungen an die Obligationäre gleich selbst, anstelle einer Bank, die das Geld überweist. Man muss die Smart-Bonds nur entsprechend programmieren. Technisch habe es funktioniert. Batlin ist fasziniert.
UBS will sich nicht überflüssig machen
Doch bei aller Faszination: Es ist natürlich nicht Batlins Ziel, die UBS mit Blockchain überflüssig zu machen. Vielmehr will er Blockchain nutzen, um Bankgeschäfte künftig viel effizienter und günstiger abzuwickeln.
Das heisst, selbst wenn es die Banken für einige konventionelle Dienste dereinst nicht mehr zwingend brauchen sollte, wären die Kunden gerade in Vermögensfragen mehr denn je auf die Beratungs-Dienste der Banken angewiesen, ist Batlin überzeugt.
Die UBS, die grösste Vermögensverwaltungsbank der Welt, sieht Blockchain also offenbar nicht als Bedrohung, sondern als Chance, die Kosten zu senken. Letztlich geht es bei der UBS auch in der luftigen Höhe des 39. Stocks darum, den Profit zu steigern – für die Bank und für die Aktionäre.