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Inside DPD Krank, kaputt und in Konkurs

Wir alle bestellen Ware im Internet. Es soll schnell gehen – und möglichst günstig sein. Doch wie geht es den Menschen, die uns dieses System ermöglichen?

SRF Investigativ sprach während mehreren Monaten mit gegenwärtigen und ehemaligen Fahrern von DPD Schweiz. Der grösste private Kurierdienst der Schweiz hat seinen Transportdienst hauptsächlich an Subunternehmer ausgelagert – auch sie kommen in dieser Recherche zu Wort. Sie berichten von unhaltbaren Arbeitsbedingungen, von Kontrolle und Abhängigkeit, von finanziellen und gesundheitlichen Problemen.

Mitarbeitende von DPD-Depots sowie Personen aus dem Management bestätigen die Missstände. Und sie sagen: DPD nehme diese bewusst in Kauf. Sie gehörten zum Geschäftsmodell.

Der Tag eines Fahrers beginnt für DPD Schweiz in der Regel zwischen 5 und 6 Uhr morgens. Der Fahrer kommt in einem der insgesamt 11 Depots an. Belädt seinen Lieferwagen während zwei, drei Stunden, dann fährt er los.

Bis zu 200 Stopps machen die Fahrer, je nach Wochentag, je nach Tour. Das bedeutet: 200 Mal aussteigen, 200 Mal einsteigen. Und dazwischen unter Hochdruck Pakete verteilen.

Bis zu 14 Stunden ohne Pause

Am Nachmittag kommt der Fahrer zurück ins Depot – und fährt kurz darauf nochmals los, um Pakete bei Kundinnen und Kunden abzuholen. Die Auslieferung und Abholung der Pakete sind bei DPD Schweiz voneinander getrennt. Kommt der Fahrer zum zweiten Mal zurück ins Depot, entlädt er seinen Lieferwagen. Erst dann, in der Regel am späten Nachmittag, ist Feierabend.

Die Arbeitstage der Fahrer, das berichten alle, mit denen SRF Investigativ sprach, umfassen in der Regel 10 bis 12 Stunden, teilweise bis zu 14 Stunden. Und das oftmals ohne Pausen.

Tag für Tag.

Die Fremdenpolizei der Stadt Bern, die letztes Jahr eine Grosskontrolle beim DPD-Depot in Bern durchführte, bestätigt die überlangen Arbeitstage der Fahrer – im Firmenjargon «Zusteller» genannt. «Wir hatten Fahrer, die uns sagten, sie hätten nachts um 2 Uhr angefangen», sagt Alexander Ott, Vorsteher der Fremdenpolizei. «Sie erklärten, sie müssten zuerst Päckli sortieren und nach Regionen einteilen. Erst dann könnten sie los.»

Zu den langen Arbeitstagen schreibt das Unternehmen in seiner Stellungnahme gegenüber SRF Investigativ allgemein: «Wir legen bei DPD Schweiz grossen Wert auf faire und gesetzeskonforme Arbeitsbedingungen.»

Dutzende Fahrer und auch Subunternehmer berichten SRF Investigativ, dass ihre Fahrzeuge fast immer überladen seien. Anders gehe es gar nicht bei der Menge an Paketen, die sie pro Tag auszuliefern hätten.

Laut Djevit D., der knapp zwei Jahrzehnte für DPD arbeitete, gibt es diverse Tricks, mit denen man versuche, überladene Fahrzeuge leichter zu machen. Oder besser: Sie leichter aussehen zu lassen.

Mit Tricks gegen die Polizei

«Man kann die Fahrzeuge zum Beispiel mit speziellen Federn verstärken, sodass sie weniger absinken», sagt er. Dies sei nicht verboten, sagt Djevit D. Überladen seien die Fahrzeuge trotzdem.

Auch mit den Pneus gebe es Tricks, sagt der ehemalige Subunternehmer. Einige hätten etwa den Reifendruck bis aufs Doppelte erhöht. So sähen die Fahrzeuge weniger überladen aus.

Alexander Ott und sein Team stellten bei der Grosskontrolle bei einem Viertel der Fahrzeuge zudem technische Mängel fest, so beispielsweise Pneus mit ungenügendem Profil. Ein Teil der ausländischen Fahrer hatte zudem keinen für die Schweiz gültigen Führerausweis.

Es lägen DPD «keine Informationen über Übertretungen seitens der Berner Kantonspolizei oder anderen Behörden» vor, schreibt der Mediensprecher von DPD. Die Behauptung, dass die Fahrzeuge «fast immer» überladen seien, entbehre «jeder Grundlage».

Wer aus Sicht von DPD einen Fehler macht, wird abgemahnt und sanktioniert. Ein sogenanntes Abmahnungsformular listet 21 mögliche Vergehen auf. Sie werden im Formular «Unregelmässigkeiten» genannt. Darunter sind solche im Zusammenhang mit der gelieferten Ware («unsorgfältige Paketbehandlung») oder den Kunden («unkorrekte Zustellung an Dritte»).

Viele der aufgelisteten «Unregelmässigkeiten» haben aber nichts mit dem eigentlichen Auftrag des Fahrers zu tun. Er wird für ein «schmutziges oder beschädigtes Fahrzeug» bestraft, ebenso für «ungebührliches Verhalten im Strassenverkehr» – auch wenn der Grund für die Rüge ist, dass der Fahrer seinen eng getakteten Zeitplan mit schnellem Fahren einzuhalten versucht hat.

Nur schon ein Flecken auf dem DPD-Shirt reicht: Verschüttet der Fahrer den Kaffee, den er sich während des Tankens um 11 Uhr am Kiosk geholt hat, gibt es einen Strafpunkt. Das Vergehen: «Unkorrekte oder schmutzige DPD Bekleidung»

Für jede «Unregelmässigkeit» sind auf dem Abmahnungsformular eine gewisse Anzahl Punkte aufgeführt. Möglich sind bis zu 12 Strafpunkte. Ein Punkt beträgt 50 Franken. Gemäss Formular werden sie dem «Qualitätsbonus» der nächsten Subunternehmer-Rechnung in Abzug gebracht. Manche verrechnen sie den Fahrern weiter.

Fahrer berichten, man werde von DPD Schweiz sehr oft sanktioniert – und auch dann, wenn man gar nichts dafür könne. Liefere man etwa ein Paket wegen Stau einem Kunden zu spät, sei man selbst schuld. Kostenpunkt: 50 Franken.

Zu den Abmahnungsformularen äussert sich DPD gegenüber SRF Investigativ nicht.

DPD Schweiz hat sich so organisiert, dass die Verantwortung nach unten weitergegeben werden kann. Das Unternehmen arbeitet beim Verteilen und Abholen der Pakete mit rund 65 Subunternehmern zusammen. DPD nennt sie «selbstständige Vertragspartner».

Bei den Subunternehmern sind laut DPD Schweiz rund 700 Fahrer angestellt. Ausserdem hat das Unternehmen etwa 200 eigene Fahrer angestellt.

Den Subunternehmern und Fahrern schreibt DPD sehr viel vor. So haben die Fahrer in DPD-Kleidung zu arbeiten, auch wenn sie bei Subunternehmern angestellt sind. Bezahlen müssen diese Kleider die Subunternehmer. Auch für die DPD-Logos auf den Lieferwagen zahlen die Subunternehmer selbst. Fehlen die Beschriftungen, werden sie verwarnt.

SRF Investigativ liegen Verträge zwischen Subunternehmern und DPD vor. Auf 16 Seiten halten sie die umfangreichen Pflichten der «selbstständigen Unternehmen» fest. Rechte gibt es wenige. Über zehn Anhänge komplettieren das Vertragswerk.

Kurt Pärli, Professor für Soziales Privatrecht an der Universität Basel, hat für SRF Investigativ einen solchen Vertrag studiert. Grundsätzlich gelte in der Schweiz Vertragsfreiheit, sagt er. Doch auffallend sei: «Die Rechte und Pflichten zwischen DPD und Subunternehmern sind sehr einseitig verteilt.» Bei den Kündigungsbestimmungen seien «fast nur die Interessen von DPD berücksichtigt». Es zeige sich zudem, dass DPD «sein Geschäftsrisiko weitgehend auf den Subunternehmer überträgt».

Und: Viele Bestimmungen im Vertrag beträfen nicht nur die Subunternehmer, sagt Kurt Pärli. Sondern die Fahrer der Subunternehmer.  «Das ist insofern aussergewöhnlich, als damit ein Dreiecksverhältnis zwischen DPD, den Subunternehmern und den Fahrern vorliegt.» In diesem Dreiecksverhältnis übernehme DPD «wesentliche Teile der Macht über die Arbeitnehmenden, über ihr Verhalten, über ihre Arbeitsleistungen».

Für den Arbeitsrechtsexperten der Universität Basel stellt sich die Frage, ob damit faktisch ein Arbeitsverhältnis zwischen DPD und Fahrern bestehe. Es spreche viel dafür, dass die bei den Subunternehmern angestellten Fahrer eigentlich Angestellte von DPD Schweiz seien, sagt Kurt Pärli.

«Das bedeutet, das allenfalls Personalverleih vorliegt.» Dafür bräuchte der Subunternehmer eine Bewilligung des Kantons. Er würde kontrolliert oder bei Verstössen sanktioniert. Die Arbeitnehmenden sind im Personalverleih demnach besser geschützt.

Weisungsrecht des Arbeitgebers

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Das Schweizer Gesetz schreibt vor, dass Arbeitnehmende Anordnungen und Weisungen ihres Arbeitgebers zu befolgen haben. Auf den konkreten Fall bezogen darf ein Subunternehmer von einem Fahrer demnach gewisse Dinge verlangen – weil er sein Chef ist. Wenn nun aber plötzlich DPD vertraglich in dieses Arbeitsverhältnis eingreift, stellten sich Fragen. So etwa: Sind die bei Subunternehmern angestellten Fahrer in Wirklichkeit Angestellte von DPD?

DPD schreibt, die Verträge mit Subunternehmern würden «regelmässig rechtlich geprüft» und entsprächen dem Gesetz: «Dabei stellen wir sicher, dass sowohl die Rechte als auch die Pflichten klar und fair geregelt sind.» Man greife «nicht direkt» in die Personalführung der Subunternehmer ein. Diese handelten «eigenverantwortlich».

Wenn der Fahrer seine Pakete verteilt hat, fährt er ins Depot zurück. Es ist jetzt – je nach Tag und Tour – in der Regel etwa 15 Uhr. Dann fährt er erneut los, um Pakete bei Kundinnen und Kunden abzuholen.

Die sehr langen Arbeitstage ohne Pausen kombiniert mit den vielen Stopps und dem hohen Zeitdruck belasten die Gesundheit der Fahrer. Am häufigsten erwähnen die Fahrer aber das Gewicht der Pakete: «Ich habe starke Rückenprobleme von den schweren Paketen», berichtet ein 20-Jähriger. Ein anderer Fahrer, ebenfalls erst anfangs 20, hat nach eigenen Angaben bei DPD nach rund einem Jahr gekündigt, weil die Pakete so schwer waren.

Mehrere erwähnen grosse Säcke von Hundefutter, die sie tragen müssten. Oder Autoräder, also Pneu und Felgen inklusive, die DPD in der Schweiz zum Kunden ausliefert.

Djevit D. arbeitete 18 Jahre für DPD Schweiz. Zu Beginn als Fahrer, dann als Subunternehmer. Er galt bei DPD als Vorzeigeunternehmer. Vor gut einem Jahr hat er gekündigt und noch während der Kündigungsfrist mit Arbeiten bei DPD aufgehört. Seine beiden Firmen sind in Konkurs.

All der Druck, all der Stress hat bei ihm psychisch und physisch Spuren hinterlassen.

«Es macht dich psychisch kaputt», sagt der 45-Jährige. Körperlich sei er «sowieso kaputt». Knie, Schultern, Hüften machen ihm Probleme – alles vom jahrelangen Tragen, sagt er.

Die Gesundheit unserer Fahrer steht für uns an oberster Stelle.
Autor: DPD Schweiz

Laut DPD Schweiz wiegen «weit über 99 Prozent» ihrer Pakete unter 30 Kilogramm. «In seltenen Ausnahmefällen» könnten sie bis zu 35 Kilogramm schwer sein. In diesen Fällen stünden den Fahrern «geeignete Hilfsmittel wie Sackkarren zur Verfügung». Und weiter: «Die Gesundheit unserer Fahrer steht für uns an oberster Stelle, weshalb wir regelmässig Schulungen und präventive Massnahmen anbieten, um Belastungen zu minimieren.»

Die meisten Fahrer würden keinen Sackkarren mitführen, weil ihnen schlicht die Zeit fehle, ihn zu benutzen, schilderten die Fahrer SRF Investigativ.

Die Grosskontrolle der Berner Fremdenpolizei letzten Dezember war die erste dieser Art bei einem Kurierdienst. Im Normalfall bekämpfen Vorsteher Alexander Ott und sein Team Menschenhandel und Arbeitsausbeutung – etwa in Branchen wie Prostitution, Nagelstudios, Coiffeursalons oder im Baugewerbe.

Man habe aber Hinweise erhalten, wonach Kurierfahrer bei DPD in Bern «mitten in der Nacht» im Depot ankämen, um zu arbeiten, sagt Alexander Ott.

Bei der Grosskontrolle stoppte die Fremdenpolizei schliesslich rund 40 Fahrzeuge. Wie die «Berner Zeitung» als Erste berichtete, waren bei der Kontrolle mehrere Behörden involviert, darunter die Kantonspolizei und Arbeitsinspektorat des Kantons Berns sowie das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit.

Was sogar den erfahrenen Polizisten Ott erstaunte:

  • Manche Fahrer berichteten, sie würden in den Lieferwagen übernachten, um Miete zu sparen.
  • Andere erzählten, sie würden in kleinen Wohnungen, die jemand für sie miete, leben. Zum Teil teilten sich zwei Fahrer eine Matratze.
  • Einige Fahrer hatten keine Arbeits- oder Aufenthaltsbewilligung für die Schweiz. Oder beides.
  • Bei manchen Fahrern waren weder BVG noch andere Sozialleistungen abrechnet worden.
  • Der grösste Teil der Fahrer hatte die Arbeitszeit nicht schriftlich erfasst.

Laut Christof Scheurer, stellvertretender Generalstaatsanwalt des Kantons Bern, erfolgten nach der Grosskontrolle Anzeigen gegen vier ausländische Staatsangehörige wegen fehlender Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung. In der Zwischenzeit seien drei Strafbefehle ergangen, unter anderem wegen Beschäftigens von Ausländern ohne Bewilligung. Weitere ausländer- und arbeitsrechtlichen Abklärungen seien noch hängig. Ein Strafverfahren gegen DPD laufe keines, sagt Christof Scheurer von der Staatsanwaltschaft des Kantons Bern.

Wir sprechen von einer klaren Ausbeutung der Arbeitssituation.
Autor: Alexander Ott Vorsteher Fremdenpolizei Stadt Bern

Dass die Fahrer, die für DPD Schweiz unterwegs sind, ausgebeutet und ausgenutzt werden, steht für Alexander Ott fest: «Wir sprechen von einer klaren Ausbeutung der Arbeitssituation. Diese kann sich schnell in Abhängigkeitsverhältnisse entwickeln.»

Sie hätten mit Leuten gesprochen, die sich für den Kauf von Lieferwagen verschulden müssten, sagt Ott. Das mache sie verletzlich. Auch stammten viele der kontrollierten Fahrer und Subunternehmer aus Ländern, in denen sie keine oder nur eine sehr schlecht bezahlte Arbeit hätten. «Das begünstigt Ausnutzung. Diese Menschen haben fast keine andere Wahl.»

DPD schreibt, sie würden keine Verstösse gegen Arbeitsvorschriften tolerieren. «Wo solche festgestellt wurden, zog DPD die Konsequenzen.»

Man lege grossen Wert darauf, dass alle gesetzlichen Vorgaben eingehalten würden. DPD verlange von allen für sie tätigen Personen gültige Arbeitsbewilligungen und würde diese regelmässig überprüfen. «Darüber hinaus stellen wir sicher, dass alle unsere Fahrer und Subunternehmer mindestens den gesetzlichen Mindestlohn erhalten.»

Für Alexander Ott von der Berner Fremdenpolizei bleiben die Arbeitsbedingungen bei Kurierdiensten Thema: «Wir werden auch weiterhin genau hinschauen.»

Video
Inside DPD – Wie der Lieferdienst seine Leute ausbeutet
Aus Impact Investigativ vom 29.10.2024.
abspielen. Laufzeit 24 Minuten 34 Sekunden.

Impressum

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Legende: SRF

SRF Investigativ
Simone Rau (Autorin), Philippe Odermatt (Autor), Nadine Woodtli (Produzentin), Nina Blaser (Projektleitung)

Storytelling-Desk
Dominique Marcel Iten (Redaktion), Robert Salzer (Frontend-Entwicklung), Ulrich Krüger und Marina Kunz (Design)

Kontaktieren Sie SRF Investigativ

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Espresso, 29.10.2024, 8:10 Uhr ; 

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