China und die Vereinigten Staaten liefern sich in den Augen von Philipp Hildebrand nur vordergründig ein Duell um Handelsfragen. Er sieht einen Kampf um die technologische Vorherrschaft in der künstlichen Intelligenz und der Digitalisierung.
Seine Angst: Europa ist dabei, sich ins Abseits zu manövrieren – egal, wie dieser Kampf ausgeht.
SRF: Herr Hildebrand, wie gefährlich ist der Handelsstreit zwischen den USA und China?
Philipp Hildebrand: Aus meiner Sicht ist der Handel nur die Spitze des Eisbergs. Es geht um viel mehr: um die Vorherrschaft in der Technologie.
Ich würde behaupten: Wenn die Historiker einst zurückschauen, wird man sagen, dass 2018/2019 der grosse Schnitt in den Beziehungen gewesen ist – das Ende dessen, was begonnen hat, als Richard Nixon 1973 nach China gegangen ist. Seitdem hatte man in verschiedenen Formen eine Art strategische Kooperation.
Dieser Schnitt geht sehr tief.
Heute sind wir leider aus europäischer, aber auch aus Schweizer Sicht eklatant in der Situation einer strategischen Konfrontation. Und das beeinflusst die Wirtschaftslage.
Ist denn der Kampf um die technologische Vorherrschaft bereits entschieden? Kippt es zugunsten Chinas?
Das ist eine offene Frage. Es geht hier um sehr viel. Man darf nicht vergessen, dass China laut einem offiziellen Strategie-Papier zur chinesischen Politik und Wirtschaft seit Jahren explizit anstrebt, die Vorherrschaft in der Technologie zu erringen, insbesondere in der künstlichen Intelligenz und der Digitalisierung. Dieses Ziel ist keine Überraschung.
Jetzt sehen wir, wie sich das Ganze entlädt und dass die Amerikaner hier stark reagieren. Wichtig ist: Das ist keine Trump-Geschichte. Und deshalb geht dieser Schnitt sehr tief. Es ist ein Thema, das die USA vereinigt: Alle Teile der Bevölkerung stehen dahinter, und auch die grössten Teile der Politik.
Soll sich Europa nun schützen? Wehren?
Es wäre ein Desaster, wenn Europa zur digitalen Kolonie werden würde – entweder von China oder von den USA. Man müsste alles tun, um zu verhindern, dass Europa letztlich nur noch die Wahl hat, entweder auf eine chinesische Infrastruktur zu springen oder auf eine amerikanische.
Im Übrigen sollten sich die USA auch überlegen, ob Europa in diesem Szenario wirklich Richtung Amerika gehen wird. Das ist nicht so klar.
Ist das Rennen nicht bereits gelaufen? Europa kann ja nicht einen Digital-Konzern aus dem Hut zaubern?
Ich würde nicht sagen, dass es gelaufen ist. Es geht ja immer weiter. Jetzt kommt zum Beispiel die 5G-Technologie. Aber Europa hat hier ohne Zweifel ein grosses Problem und muss dringend handeln.
Das Interview führte Eveline Kobler.