Es ist der grösste Kapitalabfluss der Geschichte: 83 Milliarden Dollar haben ausländische Investoren laut dem Institut für Internationale Finanzen seit Beginn der Corona-Krise aus Schwellenländern wie Südafrika, Brasilien oder der Türkei zurückgeholt. Die Investoren verkaufen also reihenweise Aktien und Anleihen von Firmen in diesen Ländern – aus Angst, ihr Geld zu verlieren.
Flucht in den Dollar
Sie flüchteten stattdessen in den Dollar, sagt Ökonomin Christa Janjic. Die Finanzspezialistin von Wellershoff und Partners beschäftigt sich seit Jahren mit Schwellenländern: «Für diese Länder ist ein starker Dollar oder ein Dollar, der sich noch mehr aufwertet, eigentlich immer problematisch. Die eigene Währung verliert an Wert und die Kosten für die Schulden gehen hoch.»
Für viele dieser Länder ist es wirklich ein perfekter Sturm.
Die Kosten gehen deshalb hoch, weil viele Kredite in Dollar aufgenommen sind. Das heisst, die Schulden müssen in Dollar bezahlt werden. Kredite werden teurer, wenn der Wert der eigenen Währung sinkt.
Für viele Schwellenländer werde die Corona-Pandemie so zu einer noch grösseren Herausforderung, sagt Anastasios Frangulidis, Chefstratege der Vermögensverwaltung Pictet. Es fehle grundsätzlich an Geld: «Sie verfügen nicht über diese Mittel, um ihre Volkswirtschaft in dieser schwierigen Phase zu unterstützen. Umso mehr sind sie auf das Kapital aus dem Ausland angewiesen.»
Sie verfügen nicht über diese Mittel, um ihre Volkswirtschaft in dieser schwierigen Phase zu unterstützen.
Es sei aber nicht nur das fehlende Kapital, dass ihnen Sorgen bereite, sondern auch die wegbrechenden Einnahmen. Die Rohstoffe und Produkte vieler Schwellenländer sind wegen der weltweit einbrechenden Konjunktur weniger gefragt.
Die Anlage-Chefin von Wellershoff und Partners doppelt nach: «Für viele dieser Länder ist es wirklich ein perfekter Sturm, der über sie hinwegfegt. Gerade kleinere Länder sind auch oftmals noch abhängig vom Tourismus, der jetzt auch noch wegfällt.» Wie gut diese Länder diesen Sturm verkraften, hänge von der Dauer der Corona-Krise ab. Viele dieser Staaten würden aber mit der Krise so oder so finanziell unter Druck geraten, sagen die beiden Ökonomen.
Gerade kleinere Länder sind oft abhängig vom Tourismus, der jetzt auch noch wegfällt.
Kritisch werde es vor allem für die Länder, die bereits vor der Krise hoch verschuldet gewesen seien, sagt Frangulidis. Wie zum Beispiel Argentinien, Kolumbien und Chile, aber zunehmend auch Brasilien. Dazu kommen die Türkei und Südafrika mit ebenfalls hohen Auslandsschulden.
Besser stünden hingegen asiatische Länder wie Thailand oder Indonesien da, so Janjic: «Sie müssen zwar auch mit einem starken Rückgang der Nachfrage rechnen, profitieren aber gleichzeitig von den tiefen Rohstoffpreisen. Dank ihren recht gesunden Staatshaushalten können sie zudem auch Massnahmen ergreifen.» Also Massnahmen, die das Gesundheitssystem und die Wirtschaft unterstützen.
Ruf nach Stundung
Zu vielen Staatspleiten werde es dennoch nicht kommen, schätzen Janjic und Frangulidis. Die Weltbank und der Internationale Währungsfonds IWF scheinen diesbezüglich skeptischer zu sein. Sie drücken auf den Alarmknopf und appellieren an die wichtigsten Industrie- und Schwellenländer, die G20-Staaten, den ärmeren Ländern die Schulden zu stunden, bis sich die Lage entspannt.