Gleich zu Beginn der Medienkonferenz machte SNB-Präsident Thomas Jordan klar: Der Mindestkurs sei in einer Zeit der massiven Überbewertung des Frankens und grosser Verunsicherung an den Finanzmärkten eingeführt worden.
«Wirtschaft hat sich auf Situation eingestellt»
«Diese temporäre und ausserordentliche Massnahme hat die Schweizer Wirtschaft vor Schäden bewahrt», sagt Jordan. Die Wirtschaft habe diese Phase genutzt, um sich auf die neue Situation einzustellen. Der Franken bleibe zwar hoch bewertet – aber die Überbewertung habe sich seit der Einführung des Mindestkurses insgesamt reduziert.
Die Geldpolitik in den verschiedenen Währungsräumen drifte auseinander, sagte SNB-Chef Thomas Jordan. «Der Franken hat sich gegenüber dem Euro abgewertet, wodurch sich auch der Franken zum Dollar abgewertet hat.» Die SNB gehe davon aus, dass sich die Situation noch weiter akzentuieren wird. «Vor diesem Hintergrund ist die Nationalbank zum Schluss gekommen, dass die Durchsetzung und Aufrechterhaltung des Euro-Mindestkurses nicht mehr gerechtfertigt ist.»
Internationale Entwicklung ist entscheidend
Für die SNB sei dabei nicht der grosse Druck auf den Mindestkurs ausschlaggebend gewesen, sagte Jordan, sondern, weil die internationale Entwicklung die SNB zur Überzeugung geführt habe, dass der Mindestkurs aufgehoben werden könne.
Der Ausstieg habe dabei genau so überraschend erfolgen müssen, wie der Einstieg, weil die Märkte zu starken Übertreibungen tendierten.
Für Jordan ist klar: «Die Schweizer Nationalbank bleibt ihrem Mandat der mittelfristigen Preisstabilität verpflichtet.» Bei der Gestaltung ihrer Geldpolitik trage die SNB auch künftig der Wechselkurs-Situation Rechnung. Sie bleibe deshalb bei Bedarf am Devisenmarkt aktiv, um die monetären Rahmenbedingungen zu beeinflussen.
Mit der Aufhebung des Mindestkurses erleidet die SNB grosse Bewertungsverluste. «Es macht keinen Sinn, eine aus ökonomischen Gründen nicht sinnvolle Politik weiterzuführen», sagte Jordan dazu. Die SNB könne das internationale Umfeld nicht beeinflussen. «Ein Aussteigen ist darum besser.»
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SNB sieht keine Inflationsgefahr
Laut Jordan war es zudem keine Option zuzuwarten, weil die Rücknahme der Massnahme in sechs oder zwölf Monaten in einem deutlich schlechteren Umfeld stattfinden könnte.
SNB-Präsident Jordan beurteilt die Inflationsaussichten für die Schweiz weiterhin tief. Dabei verwies er auf die SNB-Inflationsprognose vom Dezember. «Seither ist der Ölpreis deutlich gefallen.» Dies senke die Inflationsaussichten vorübergehend weiter. Ein tieferer Ölpreis werde jedoch das Wachstum weltweit beleben. Dies habe wiederum positive Auswirkungen auf die konjunkturelle Entwicklung der Schweiz.
Nationalbank auf der Verlierseite
Doch wer ist Gewinner und Verlierer des Nationalbank-Entscheids? Auf der Gewinnerseite sieht SRF-Wirtschaftsredaktor Iwan Lieberherr zunächst Spekulanten, die von der grossen Volatilität an den Märkten profitierten. «Auch Importeure werden begünstigt – aber auch der einfache Bürger, die Einkaufstouristen.»
«Auf der Verliererseite steht die Nationalbank selber. Diese hat in den letzten Jahren einen riesigen Devisenbestand eingekauft – die Hälfte davon wohl in Euro», sagt Lieberherr. Dessen Wert sei im ersten Moment massiv eingebrochen – mit Konsequenzen für die Ausschüttungspolitik an Bund und Kantone. Doch auch die Exportindustrie spreche von einer «Katastrophe». Und der Tourismus beschwere sich, da Ferien in der Schweiz teurer würden.
Glaubwürdigkeit «ein wenig angekratzt»
Lieberherr äussert auch leise Zweifel am gemäss Jordan «komplett unabhängigen» Entscheid der Nationalbank. «Das Handeln der Nationalbank ist natürlich vernetzt mit dem Handeln der Europäischen Zentralbank (EZB).» So beginne die EZB möglicherweise nächste Woche damit, Staatsanleihen im grossen Stil aufzukaufen. Dies werde den Euro weiter schwächen – damit steige auch der Aufwertungsdruck auf den Franken. Vielleicht habe die Nationalbank ein «Ende mit Schrecken» dem «Schrecken ohne Ende» vorgezogen.
Lieberherr sieht indes die Glaubwürdigkeit der Nationalbank «ein wenig angekratzt.» Bis gestern habe die Nationalbank gesagt, der Euro-Mindestkurs werde mit allen Mitteln verteidigt. Heute sehe die Welt plötzlich ganz anders aus. Zwar gehörten Überraschungsentscheide zum «Waffenarsenal» einer Nationalbank. Aber es gebe doch Zweifel, dass sich die Situation in der letzten Woche derart zugespitzt hätte, so Lieberherr.