Ein grosser Platz in der südchinesischen Metropole Guangzhou. Es ist die Jobvermittlungs-Zone für die Textilindustrie hier. Diese nimmt ein ganzes Quartier ein. Über fünf Quadratkilometer drängen sich dicht an dicht Tuchhändler, Stickereien, Druckereien, Nähwerkstätten – alles, was es zum Kleiderherstellen braucht.
Näherinnen auf Arbeitssuche
Hunderte arbeitslose Näherinnen und Näher stehen auf dem betonierten Platz, diskutieren und warten. Näherin Wang Lubi sagt: «Das sind alles Arbeitnehmer, aber niemand rekrutiert.»
Doch hin und wieder bilden sich Menschentrauben – wenn eine Fabrikbesitzerin oder ein Werkstattchef kommt. Einfach erkennbar, da sie jeweils Blusen, Hosen, Jacken auf den Armen tragen. Kleider, die genäht werden müssen.
Die Näherinnen und Näher fühlen die Stoffe und betrachten die Nähte. Wang Lubi studiert ein feines Frauenjackett und ein Oberteil, das ein Fabrikbesitzer auf dem Arm hat.
Mit einem Kollegen diskutiert Wang Lubi. Umgerechnet 50 Rappen für das Oberteil und nicht einmal zwei Franken pro genähtes Jackett biete der Werkstattchef. Zahlreiche hier haben eigentlich eine Stelle, aber ihre Arbeitgeber keine Aufträge. Auch Wang Lubi sucht nur temporär eine Stelle.
Schlechtes Jahr für die Textilbranche
Nähwerkstätten, Stoffhändler, Tuchdruckereien – alle haben derzeit wenig Aufträge. Das Geschäft harze nicht nur, weil es Zwischensaison ist, sagen Zahlreiche, die in den engen Gassen ihre Betriebe haben.
Auch in der Nähwerkstatt von Frau Xiong und Herrn Jiang laufe es dieses Jahr nicht rund. Doch die 15 Angestellten haben zumindest Arbeit. Die Werkstätten darüber und darunter stehen still.
Social Media und Löhne beeinflussen Geschäft
Herr Jiang, der seit 26 Jahren in der Branche arbeitet und für die Abläufe in der kleinen Kleiderfabrik zuständig ist, sagt, der Onlinehandel und Social Media hätten das Geschäft beschleunigt.
Sie würden vor allem für lokale Tiktok-Verkäufer produzieren. Die grossen Marken gäben ihre Aufträge an grosse Fabriken auch in Indien oder Vietnam.
Seine Angestellten verdienten umgerechnet bis rund vier Franken pro Stunde. Plus Kost und Logis. Das ist das Fünf- bis Zehnfache von dem, was Näherinnen in Bangladesch und Vietnam verdienen.
Teuer – aber gut und effizient
In einer Industrie, die stets nach der günstigsten Nadel sucht, ist das ein Wettbewerbsnachteil. International konkurrenzfähig sind Chinas Textilarbeiterinnen und -arbeiter jedoch bezüglich Qualität und Geschwindigkeit. Insbesondere hier in Guangzhou.
Auf dem Tuchmarkt werden Stoffe innert Stunden geliefert. Ein Näher gleich nebenan produziert sofort ein Muster. Und bis zum nächsten Tag werden die gewünschten Kleider produziert.
Fast eine halbe Million Leute arbeiten in diesem schnell drehenden bunten Textilrummel. Wie lange noch, ist eine andere Frage, meint Chefin Xiong: «Ich habe gehört, sie wollen renovieren hier.»
Aus dem Quartier gedrängt
Renoviert wird das ganze Quartier. So will es die Stadt. Und die Textilindustrie, die hier über Jahrzehnte zu einem globalen Knotenpunkt der Kleiderproduktion gewachsen ist, passt nicht mehr in diese Pläne.
Zehntausende Firmen müssen in einen Industriepark anderthalb Stunden ausserhalb der Stadt zügeln. So machen den Leuten in der Textilindustrie hier nicht nur geopolitische, sondern auch lokalpolitische Entwicklungen zu schaffen.