Seit einem halben Jahr bevölkert «Das Ende des Kapitalismus» die Spiegel-Bestseller-Liste. Die deutsche Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann hat mit ihrem Buch einen Nerv getroffen.
Mit ihrem Aufruf zum Schrumpfen der Wirtschaft stösst sie bei der Schweizer Ökonomin Monika Bütler auf Widerstand. Diese ist der Überzeugung, dass Technologie ein klimaverträgliches Wachstum möglich machen wird.
SRF: Ist es überhaupt möglich, den CO2-Ausstoss vom Wirtschaftswachstum zu entkoppeln?
Monika Bütler: Wir haben diese Entkoppelung längst. Es gibt keinen Grund, anzunehmen, dass ein System, das uns so viel Wohlstand gebracht hat – und zwar nicht nur materiellen, sondern auch Gesundheit und Zufriedenheit – nicht auch das System sein kann, das diese Anpassungen begleiten kann.
Ulrike Herrmann: Es sind nur noch ganz wenige Jahre, bis wir klimaneutral werden müssen. Die technischen Zyklen sind aber viel länger. Man kann nicht mehr auf Innovationen oder eine Wundertechnik hoffen. Wir müssen es mit der Technik schaffen, die wir schon haben. Es ist klar: Die Öko-Energie wird nicht reichen, um das gesamte kapitalistische System plus Wachstum zu befeuern. Und dass die Emissionen zurückgegangen sind in der Schweiz und in Deutschland, liegt wesentlich daran, dass wir die schmutzige Energie outgesourct haben, zum Beispiel nach China.
Monika Bütler: Aber dennoch sind sie gesunken.
Ulrike Herrmann: Aber nur um 15 Prozent. Wenn wir in diesem Schneckentempo weitermachen bis 2045, ist eines ganz klar: Wir werden nicht klimaneutral. Man muss aber verstehen: Wir müssen auf netto null kommen, weil sonst die Klimakatastrophe droht.
1978 waren wir halb so reich, aber genauso glücklich wie heute.
Monika Bütler: Wir kennen die Technologien schlicht noch nicht. Wenn wir 40 Jahre zurückgehen und hätten prognostizieren müssen, was passiert, hätten wir total daneben gelegen. Gleichzeitig haben wir viele Technologien, die noch nicht ausgenutzt sind. In der Solarenergie wird im Moment stark geforscht. Neben Solar und Wind gibt es auch die Nuklearenergie, dort wird ebenfalls viel geforscht.
SRF: Ulrike Herrmann, Sie sagen, wir sollten uns ein Beispiel an Kriegswirtschaft nehmen und an Rationierung.
Ulrike Herrmann: Wir brauchen staatliche Planung, um diesen riesigen Umbau zu bewältigen. Aber die gute Nachricht ist: Wir wären nicht so arm wie die Schweiz im Zweiten Weltkrieg. Selbst wenn wir auf 50 Prozent unserer Wirtschaftsleistung verzichten müssten, wären wir immer noch so reich wie 1978. Die, die dabei waren, wissen: Wir waren genauso glücklich wie heute.
Rationierung ist ein Schattengefecht.
Monika Bütler: Es gibt einen grossen Unterschied zwischen Rationierung in Kriegen, wo es zu wenige Lebensmittel gibt, zu einem erzwungenen Verzicht in einer Überflussgesellschaft. Das werden die Leute nie akzeptieren. Wir müssen mit dem Klimawandel umgehen, aber die Rationierung ist ein Schattengefecht, das niemandem etwas nützt.
Ulrike Herrmann: Es muss demokratisch gelingen. Und wahrscheinlich wird die Mehrheit zu spät erkennen, dass die Hütte brennt und erst handeln, wenn nicht mehr zu verhindern ist, dass die Klimawelt ausser Kontrolle gerät. Nur: Dann sind wir auch in einer Kriegswirtschaft. Denn diese Klimakrise werden wir dann auch nur mit staatlicher Steuerung überleben. Das heisst: Der Kapitalismus geht auf jeden Fall zu Ende.
Das Gespräch führte Reto Lipp.