Mehr als sieben Milliarden US-Dollar brachte der Export von IT-Dienstleistungen der Ukraine im Jahr 2022 ein – rund dreieinhalb Prozent der Wirtschaftsleistung. Davon profitiert auch ein Schweizer Unternehmen: die digitale Werbevermarkterin Audienzz.
Seit vielen Jahren beschäftigt die Firma ukrainische Software-Entwicklerinnen und -Entwickler. Der Kriegsausbruch war für den technischen Direktor Mirko Mikulic ein Schock: «Gewisse Personen sind freiwillig an die Front gegangen, andere wurden eingezogen, viele sind migriert.»
Paradox: Nach über einem Jahr Krieg spürt man bei Audienzz im Geschäftsalltag nicht mehr viel von der angespannten Situation im Land. Und das, obschon 13 Mitarbeitende nach wie vor aus der Ukraine arbeiten. Wie kommt das? Mikulic sieht den Grund darin, dass die Ukraine auf keinen Fall Aufträge von ausländischen Firmen verlieren wollte. «Unsere Mitarbeitenden wurden von der Regierung gar dazu ermuntert, weiterzuarbeiten.»
25 Ukrainerinnen und Ukrainer arbeiten noch für uns: 12 aus dem Ausland, 13 noch immer aus der Ukraine.
20 Jahre Wachstum sind weg
Für die kriegsversehrte Ukraine ist der Export solcher IT-Dienstleistungen höchstens ein Lichtblick in dunklen Zeiten. Um fast ein Drittel sank das Bruttoinlandprodukt im Jahr 2022. Gleichzeitig zogen die Preise um über 20 Prozent an.
Die Inflation mache den realen Zustand der Wirtschaft noch dramatischer, sagt Manuel Oechslin, Professor für Internationale Ökonomie an der Universität Luzern: «Mit dem ersten Kriegsjahr sind 21 bis 22 Jahre Wachstum einfach durch den Kamin.» Allerdings könne die Ukraine wegen der internationalen Hilfe darauf hoffen, dass sich die Wirtschaft bei einem Kriegsende im Optimalfall nach etwa zehn Jahren erholt haben könnte.
Mit dem ersten Kriegsjahr sind 21 bis 22 Jahre Wachstum einfach durch den Kamin.
Investitionen sind die Ausnahme
Damit das gelingt, müssten einerseits geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer zurück ins Land kommen. Andererseits braucht es massive Investitionen in die zerstörte Infrastruktur und in neue Betriebe. Doch solange der Krieg andauert, wagen nur einzelne Firmen Investitionen im Krisengebiet.
So baut Nestlé – schon heute im Land präsent – eine neue Nahrungsmittelfabrik in der Westukraine. Der Glashersteller Vetropack baut seine nach Kriegsbeginn beschädigte Fabrik in der Nähe von Kiew wieder auf. Und Dutzende andere, wie das Industrieunternehmen Weidmann, haben ihre Standorte in der Ukraine zumindest nicht geschlossen.
Mit ein Grund für die Zurückhaltung: Investitionen im kriegsversehrten Land sind zurzeit nicht über die Export-Risikoversicherung SERV abgedeckt. Um das zu ändern, müsste das Parlament eine Gesetzesänderung vornehmen.
Dmytro Sidenko, Präsident des Ukrainisch-Schweizerischen Wirtschaftsverbandes, fordert von der Schweiz ein Umdenken: «Dass jemand ohne Garantien Zeit und Geld in der Ukraine investiert, kann ich mir nicht vorstellen.» Ob man als Staat solche unattraktiven Risiken für seine Firmen versichere, sei letztlich auch eine Frage der politischen Verantwortung, so Sidenko.
Wiederaufbau kostet über 400 Milliarden Dollar
Was die offizielle Schweiz bereits getan hat: Sie investierte im Jahr 2022 rund 55 Millionen Franken in ukrainische Infrastrukturprojekte – ein Grossteil davon floss in die Verbesserung des Eisenbahnbahnnetzes.
Angesichts der horrenden Kosten, die für den Wiederaufbau auf die Ukraine zukommen, ist das allerdings höchstens ein Tröpfchen auf den heissen Stein. Die Weltbank bezifferte den Investitionsbedarf im Falle eines schnellen Kriegsendes jüngst auf über 400 Milliarden Dollar.