Das Start-up Miraifoods ist in einem Labor der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Wädenswil eingemietet. Es ist eng. Zwischen Laboranlagen und Büro – direkt im Treppenhaus – hat Forschungsleiter Suman Das seinen Laptop aufgeschlagen.
«Hier wachsen Fleischzellen, also Muskel- und Fettzellen, nicht in einem Tier heran, sondern in einem Bioreaktor», erklärt Mitgründer Oliver Naef, was Miraifoods produzieren will. Denn das Interesse an so genannt kultiviertem Fleisch wächst.
Aus Zellen werden Fleisch
Das Ausgangsprodukt sind Zellen, die per Biopsie einer Kuh entnommen werden, ein halbes Gramm pro Eingriff. Diese werden in flüssigem Stickstoff gefroren, erklärt Naef und zeigt auf einen grauen Behälter. «Wir arbeiten mit verschiedenen Rassen, denn jede Rasse hat ihre Vorteile.»
So tiefgefroren sind die Zellen mehrere Jahre lang haltbar. Für die Produktion von kultiviertem Fleisch müssen die einzelnen Proben im Labor weiterverarbeitet werden. «Wir isolieren zuerst die Fett- und Muskelstammzellen, die das Potenzial haben, sich zu teilen», erklärt Naef. Diese mehreren zehntausend Zellen vermehren sich erst im Inkubator, einer Art Wärmeschrank. Hier werden auch Tests gemacht, um die Rezeptur der Nährlösung der Zellen zu optimieren.
Dann landen die Zellen in einem der vier Bioreaktoren im Raum. Aus deren Metallgehäusen ragen mehrere Schläuche und Datenleitungen. In einem Glasbehälter wird eine Flüssigkeit umgerührt, die aussieht wie Erdbeer-Sirup. «Es ist vergleichbar mit einer Suppe in einem Kochtopf in der Küche», erklärt Fachmann Naef. «Die Zellen wachsen, bis die Suppe eingedickt ist und die Zellen reif sind für die Ernte.» In einem nächsten Schritt werden diese Zellen dann zu Muskelfasern verarbeitet. Dieses Verfahren aber ist geheim und soll patentiert werden.
Aus einer Biopsie kann man grundsätzlich rund 1000 Tonnen Fleisch produzieren.
Die Idee aber ist, dank der Zellteilung riesige Mengen Fleisch im Labor herstellen zu können. «Aus einer Biopsie kann man grundsätzlich rund 1000 Tonnen Fleisch produzieren», rechnet Oliver Naef vor.
Noch setzt sein Start-up Miraifoods nicht auf die grosse Produktion, sondern feilt daran, massgeschneiderte Fleischrezepturen zu entwickeln. Nächstes Jahr soll eine Bewilligung für den Verkauf in Singapur eingereicht werden, zwei Jahre später dann in Europa.
Schwierige Zulassung für kultiviertes Fleisch
Denn die Bewilligungen zu erhalten, kultiviertes Fleisch als Lebensmittel anzubieten, ist nicht einfach. Das weiss auch Davide Elia vom Fleischverarbeiter Bell. Dieser ist bei Mosameat beteiligt. Das Start-up in den Niederlanden versucht nun, diese Zulassung in der EU für so genannten Novel Food zu erhalten.
Dieser Zulassungsprozess hat auch eine basisdemokratische Komponente, erklärt Elia. Die einzelnen EU-Staaten müssten entsprechend einwilligen. «Deswegen ist es natürlich schwierig abzuschätzen, wie sich der politische Prozess entwickeln wird.» Wenn nämlich sämtliche EU-Staaten mitreden dürfen, kann ein Staat mit viel eigener Viehwirtschaft die Bewilligung solcher neuen Fleischarten hinauszuzögern versuchen.
Der Stadtstaat Singapur ist da bereits einen Schritt weiter. Es ist das erste Land, dass schon bereit ist, solche neuartigen Lebensmittel zu bewilligen, bestätigt Sandhya Sriram. Sie ist Stammzellenforscherin und Gründerin von Shiok Meats. Das Start-up aus Singapur stellt zellbasierte Meeresfrüchte her und plant, nächstens Jahr mit ihren Produkten auf den Markt zu gehen.
«Singapur startete ein Programm, das die eigene Lebensmittelproduktion bis 2030 von 10 auf 30 Prozent erhöhen soll», sagt sie. Derzeit werden 90 Prozent der Lebensmittel für die 6 Millionen Menschen importiert. Die eigene Lebensmittelproduktion ankurbeln sollen Projekte mit vertikaler Landwirtschaft, pflanzenbasiertem oder kultiviertem Fleisch oder Hightech-Produktion.
Wir nehmen ein biomedizinischen Produkt und ziemlich teure Pharma-Technologie. Und wir stellen ein Allerweltsprodukt her, nämlich Lebensmittel.
Doch auch sie steht vor Herausforderungen, um grosse Mengen zu produzieren. «Wir nehmen ein biomedizinischen Produkt und ziemlich teure Pharma-Technologie. Und wir stellen ein Allerweltsprodukt her, nämlich Lebensmittel, die erschwinglich sein müssen, sicher und essbar.» Um sich zwischen diesen Welten erfolgreich bewegen und in grossen Mengen produzieren zu können, brauche es seine Zeit. Diese Skalierung ist auch eine grosse Herausforderung bei den Start-ups Miraifoods oder Mosameat.
Kundschaft von In-Vitro-Fleisch überzeugen
Eine weitere, grosse Herausforderung dürfte sein, kultiviertes Fleisch salonfähig zu machen. Daniel Böhi ist Lebensmittel-Unternehmer mit langjähriger Erfahrung im weltweiten Verkauf von Lebensmitteln. Die Kundinnen und Kunden müssten von kultiviertem Fleisch erst noch überzeugt werden, kein einfacher Prozess.
«Wir müssen ein Produkt schaffen, das genau gleich schmeckt wie Fleisch. Es ist statt in einem Tier als Bioreaktor in einem technischen Bioreaktor entstanden», argumentiert er. «Und es muss gleich viel kosten wie herkömmliches Fleisch.» Derzeit ist Fleisch aus dem Labor noch massiv teurer. Die Preise sollen durch die Massenproduktion dann aber sinken.
Wir müssen ein Produkt schaffen, das genau gleich schmeckt wie Fleisch. Und es muss gleich viel kosten.
Eine immer grössere Weltbevölkerung lässt die Nachfrage nach Fleisch massiv steigen. Die traditionelle Produktion ist allerdings nicht ökologisch, produziert Unmengen Klimagase und verbraucht zu viel Fläche. «Wir müssen mit neuen Technologien Lösungen suchen», ist Böhi überzeugt.
Da setzt Böhi mit einer Gruppe Investorinnen und Investoren voll auf die Schweiz als Entwicklungsstandort. Die Nähe zu Hochschulen und der Forschung ist ein Argument, die langjährigen Erfahrungen der Pharma- und Lebensmittelindustrie eine weitere. Und die Schweiz ist ein idealer Testmarkt mit kauffreudiger, zahlungskräftiger Kundschaft für neuartige Lebensmittel, ergänzt Sandhya Sriram von Shiok Meats.
Netzwerk für zellbasierte Food-Start-ups
Böhi will eine Plattform ins Leben rufen, wo Start-ups, Unternehmen und die Forschung gemeinsam neue Lebensmittel entwickeln sollen. «Mit Blick auf die Klimaerwärmung und weiteren Problemen, glaube ich, dass wir eigentlich nicht sehr viel Zeit haben, um hier die klassische Art und Weise der Produktentwicklung zu betreiben, jeder für sich und mein Know-how für mich. Wir müssen alles auf den Tisch legen, zusammenarbeiten, damit Unternehmen wirklich schnell Resultate vorweisen können.»
Start-ups wie Cultivated Biosciences, Miraifoods oder Shiok Meats sind überzeugt: Das Marktpotenzial ist gewaltig. Sandyha Sriram von Shiok Meats geht davon aus, dass in 20 Jahren nur noch knapp 10 Prozent des konsumierten Fleisches von der Schlachtbank kommen wird. «40 bis 45 Prozent werden pflanzlicher Fleisch-Ersatz sein, ebenso viel zellbasierte Alternativen wie kultiviertes Fleisch und Fisch.» Ähnlich tönt es bei Miraifoods und Cultivated Biosciences.
Das Good Food Institute in Belgien, eine Interessensvertretung für die alternative Fleischwirtschaft, geht davon aus, dass schon in gut 10 Jahren 20 Prozent des Fleisches aus dem Reaktor kommt. Weil der Fleischmarkt weltweit bereits jetzt rund eine Billion Franken schwer ist und stark wächst, rechnet die Branche mit einem riesigen Marktpotenzial.
Lebensmittel-Unternehmer und Investor Daniel Böhi ist mit seinen Prognosen etwas zurückhaltender. Aber er ist überzeugt, dass es einen Wandel geben wird.