Alex Lissitsas Arbeitstag beginnt zwar wie üblich um fünf Uhr morgens – doch ganz anders als gewohnt. «Ich rufe meine Manager an und frage, ob sie am Leben sind», so der Chef von IMC, einem der grössten Agrar-Konzerne in der Ukraine.
Ich rufe meine Manager an und frage, ob sie am Leben sind.
Das Unternehmen bewirtschaftet 125'000 Hektar Land, zählt über 2000 Angestellte und ist an der Warschauer Börse notiert. Ein Grossteil der Ackerflächen befindet sich an der ukrainisch-belarussischen Grenze. Nichts ist dort wie vor dem Krieg.
Lissitsa ist inzwischen in der Westukraine, seine Mitarbeitenden, die noch vor Ort sind, schicken ihm Fotos von der Zerstörung auf dem Firmen-Gelände. Die Tätigkeiten auf den Landwirtschaftsbetrieben sind aus Sicherheitsgründen fast komplett eingestellt.
Land kann nicht bewirtschaftet werden
Dabei stünden jetzt wichtige Arbeiten an: die Aussaat von Sommerkulturen wie Mais, aber auch das Düngen der Winterkulturen wie Weizen. Sollte die Situation anhalten, wird es im Spätsommer nichts oder fast nichts zu ernten geben auf den Flächen der Firma, die grösser sind als der Kanton Thurgau.
Die Aussicht auf einen Teilausfall der Ernte in der Ukraine hat in den letzten Wochen die Weltmarktpreise für Weizen, Gerste und Co. in die Höhe schnellen lassen. Schon vor Ausbruch des Kriegs waren Getreidepreise auf einem hohen Niveau, seit Kriegsausbruch sind sie zum Teil um weitere 40 Prozent gestiegen.
Wir bereiten uns da auf einen Sturm vor, den man seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gesehen hat.
Der Grund: In eine durch Klimawandel und erhöhte Nachfrage ohnehin schon angespannte Situation auf dem Weltmarkt, falle nun der Ukraine-Konflikt. Das sagt Christian Jörg, der beim saudi-arabischen Staatsfonds für die Abteilung SALIC arbeitet, die die Lebensmittelsicherheit in Saudi-Arabien sicherstellen soll. «Wir bereiten uns da auf einen Sturm vor, den man seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gesehen hat. Was sich da im Moment an den Börsen abspielt: die Volatilität ist extrem hoch.»
Vieles hängt vom Kriegsverlauf ab
Ein Grund dafür: die Ukraine und Russland gehören mit rund 25 Prozent am Weltmarkt zusammen zu den grössten exportierenden Ländern von landwirtschaftlichen Rohstoffen.
Von einer akuten Knappheit landwirtschaftlicher Rohstoffe könne man zwar noch nicht sprechen, so Jörg. Auch müssten sich reiche Länder wie die Schweiz oder Saudi-Arabien kaum Sorgen um Mangel an Lebensmittel machen.
Doch ärmere Länder, die bis zu 80 Prozent ihrer Lebensmittel aus Russland und der Ukraine importierten, seien in einer schwierigen Lage. Dazu gehören Libanon, Ägypten oder Sudan. Auch das UN-Welternährungsprogramm bezieht die Hälfte seiner Getreidelieferungen aus der Ukraine und Russland.
Preise könnten explodieren
Vieles hänge nun davon ab, wie der Krieg weitergeht, glaubt Jörg. «Wenn sich der Krieg ausbreitet, wenn zusätzliche Sanktionen gegen Russland ergriffen werden, wenn sich dann noch auf der nördlichen Halbkugel Trockenheit festsetzen sollte – mit Ertragsausfällen in Amerika, Kanada, Europa – dann können die Preise explodieren», so Jörg.
Hinzu komme, dass die Ukraine-Krise in eine Phase falle, in der die Weltreserven ohnehin relativ tief seien. Die Preise könnten sich nochmals verdoppeln. «Das wird dann zu Hungersnöten führen, Unterernährung, Migrationsströmen», so Jörg.
Das wird dann zu Hungersnöten führen, Unterernährung, Migrationsströmen.
Während ein Grossteil der Felder von Alex Lissitsas Firma im Norden der Ukraine liegt und damit direkt vom Krieg betroffen ist, sind die Kriegs-Auswirkungen auf die knapp 5'000 Hektar Land, die Hans Wenzl in der Zentralukraine bewirtschaftet, bisher begrenzt. «In den ersten Tagen waren die Leute in unserem Dorf sehr verunsichert und haben wirklich Angst gehabt, was jetzt passieren könnte», so Wenzl. Doch bisher hätten sich die Befürchtungen nicht bewahrheitet.
Der bayerische Landwirt verbringt seit fast zwei Jahrzehnten viele Monate jedes Jahr in der Ukraine. Auch eine Woche vor dem Krieg war er noch vor Ort, bevor er nach Deutschland ausreiste. Sobald es die Sicherheit zulässt, will er wieder zurück. Fürs Erste hält Wenzl aber nur telefonisch Kontakt zu seinen Mitarbeitenden vor Ort.
Bauern sehen die nächsten Monate unterschiedlich
Viele Landwirte in der Ukraine trifft derzeit ein Mangel an Treibstoff für Landmaschinen und eine Knappheit an Düngemitteln. Wenzl hat hier Glück im Unglück: Den Düngerbedarf habe er schon im Januar gedeckt, auch der Diesel-Tank auf dem Hof sei voll, so der Landwirt. Alle Frühjahrsarbeiten habe man erfolgreich durchführen können. Für das restliche Jahr gibt er sich verhalten optimistisch.
Diesel ist nicht genug da, die ganze Logistik ist zusammengebrochen. Düngemittel wird nicht rechtzeitig transportiert
Anders sieht es bei Alex Lissitsa aus. Er schätzt, dass seine Firma dieses Jahr nur knapp ein Sechstel der Ackerfläche bestellen kann. Es handelt sich um Felder, die in der Zentralukraine liegen. Aber selbst dort, wo im Moment keine direkten Kriegshandlungen die Arbeit verhindern, gibt es Probleme. «Diesel ist nicht genug da, die ganze Logistik ist zusammengebrochen. Düngemittel wird nicht rechtzeitig transportiert», so Lissitsa.
Transport als weiterer Flaschenhals
Ein Problem, das Alex Lissitsa und Hans Wenzl gemein haben: Ein Teil der letztjährigen Ernte liegt immer noch in ihren Lagern und kann nicht auf dem Weltmarkt verkauft werden. Im ganzen Land lagerten noch 15 bis 17 Millionen Tonnen Ernte des letzten Jahres, schätzt Lissitsa.
Bis auf Weiteres wird es schwierig, diese Mengen auf dem Weltmarkt zu verkaufen. Der Grund: die Häfen am Schwarzen Meer, über die fast der gesamte Getreidehandel der Ukraine verschifft wird, sind wegen des Kriegs geschlossen. Lieferungen mit der Eisenbahn wären zwar möglich, doch der Krieg hat einen Teil der Infrastruktur zerstört.
Die Landwirtschaft in der Ukraine kämpft an vielen Fronten mit den Auswirkungen des Krieges. Schon jetzt ist klar: je schwieriger es für die Bauern in der Ukraine wird, desto katastrophaler die Auswirkung auf die Lebensmittelversorgung der Ärmsten der Welt.