Es ist ein unschöner Rekord. Einen derart rasanten Preisanstieg wie derzeit – mit 7.5 Prozent Jahresteuerung – gab es noch nie in Euroland. Trotzdem hält die Europäische Zentralbank still. EZB-Chefin Christine Lagarde bekräftige heute, noch wolle sie nicht an der Zinsschraube drehen. Damit strapaziert sie die Nerven all jener, die unter der Inflation leiden.
Konkret heisst das: Die Firmen haben weiter zu kämpfen mit erhöhten Kosten für Energie und Rohstoffe. Die Konsumentinnen und Konsumenten müssen immer tiefer in die Tasche greifen beim Einkaufen, ohne dass ihre Löhne mit den Preissteigerungen schritthalten könnten.
Ukraine-Krieg verschärft Dilemma der EZB
Um der grassierenden Teuerung entgegenzutreten, haben andere Notenbanken – etwa die amerikanische – längst reagiert. Aber die EZB sorgt sich offenbar mehr um das Wachstum und die wirtschaftliche Erholung nach der Coronakrise als um die Inflation. Und sie schaut gebannt darauf, wie sich der Angriff Russlands auf die Ukraine auswirkt.
Tatsächlich sind in Europa die wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Kriegs ein viel grösserer Faktor als etwa in den USA. Vor allem darum, weil wichtige Euro-Länder – Deutschland und Italien zum Beispiel – weitaus abhängiger sind von russischem Gas und russischen Erdöllieferungen als andere.
Kommt dazu: Steigende Preise für Energie wirken sich auf zwei verschiedene Arten aus. Zum einen erhöhen sie den allgemeinen Inflations-Druck: Denn wenn Benzin, Gas und Heizöl teurer werden, dann steigen mit der Zeit auch die Transportkosten und am Ende gar die Mieten. Das heisst: Auch weitere Güter und Dienste werden teurer. Die Inflationsspirale dreht sich beschleunigt.
Rezession ist auch ein Szenario
Auf der anderen Seite nagen die Preissteigerungen an der Kaufkraft der Konsumentinnen und Konsumenten. Und je weniger Budget frei bleibt für den Konsum, desto mehr halten sich die Leute zurück mit dem Geldausgeben. Dies wiederum könnte allmählich das Wachstum ausbremsen.
Käme dann noch ein Stopp russischer Gaslieferungen nach Europa hinzu, könnte hier die Wirtschaft sogar in eine Rezession fallen. Und dann wäre womöglich der Konjunktureinbruch ein mindestens so grosses Problem für die Geldpolitik der EZB wie die Inflation.
Das macht die Lage für EZB-Chefin Christine Lagarde doppelt schwierig: Ihr droht, dass sie die Kontrolle über die Preissteigerungen in Euroland verliert, wenn sie zu lange mit Zinserhöhungen wartet. Und ihr droht ein Kollaps der Konjunktur, wenn sie zu forsch vorgeht.
Darum wartet sie ab und tut nichts. Im Wissen, dass auch das keine Lösung ist.