Mario Draghi ist heute eine kleine Überraschung gelungen: Der Chef der Europäischen Zentralbank EZB hat nicht nur den Zeitpunkt für eine Zinswende weit in die ungewisse Zukunft verschoben. Er pumpt zusätzlich – über die Banken – noch mehr billiges Geld in die Wirtschaft. Beides mit dem Ziel, die Konjunktur auf Touren zu halten.
Der Grund: Die Wirtschaft in der Eurozone expandiert zwar, aber nur sehr langsam. Und der Ausblick hat sich in letzter Zeit merklich verdüstert. Verunsicherung macht sich breit, beispielsweise mit Blick auf den andauernden Handelsstreit zwischen den USA und China und die negativen Auswirkungen, die deswegen drohen – für den Welthandel, die Investitionen der Firmen, die Beschäftigung und den Konsum.
Zinserhöhung auf die lange Bank geschoben
Bis vor kurzem hiess es, die EZB werde womöglich schon diesen Herbst die Zinsen – von der Nulllinie weg – wenigstens ein klein wenig nach oben bewegen. Daraus wird nun nichts. Möglicherweise bedeutet die heutige Ankündigung der EZB sogar, dass die Zinsen noch viel länger niedrig, teils sogar negativ bleiben. Vielleicht dauert es bis zum nächsten Konjunkturaufschwung, der sich derzeit noch nicht einmal in Umrissen am Horizont abzeichnet. Niemand weiss es, auch EZB-Chef Mario Draghi nicht, dessen Amtszeit ohnedies Ende Oktober ausläuft.
Aktuell sieht es eher nach Abschwung als nach Aufschwung aus. Was diese konjunkturellen Risiken angeht, wollen die Währungshüter offenbar nichts anbrennen lassen. Rasches Handeln ist angesagt. Darum lanciert die EZB ein neues Programm für günstige Kredite an die Banken.
Es funktioniert – vereinfacht gesagt – folgendermassen: Wenn eine Bank grosszügig Ausleihungen macht an Firmen und Konsumenten, damit diese investieren und konsumieren, dann bekommt diese Bank einen Extrakredit von der EZB. Die Botschaft an die Kreditinstitute ist klar: Gebt mehr Kredit, dann erhält ihr – fast gratis – mehr Geld von der Zentralbank.
Schweizerische Nationalbank muss stillsitzen
Die jüngsten Massnahmen der EZB lockern, so sie denn wie erwünscht wirken, die – ohnedies schon extrem grosszügige – Geldpolitik in Europa weiter. Allerdings: Sich langfristig festzulegen – über Ende dieses Jahres hinaus – das vermeidet die EZB.
Man könne jederzeit den Kurs wieder anpassen, wenn dies der Wirtschaftsgang erfordere, sagte heute Mario Draghi vor den Medien. Um sein vorsichtiges Vorgehen zu illustrieren, griff er zu einem Vergleich: «In einem dunklen Raum bewegen Sie sich mit kleinen Schritten. Sie rennen nicht, aber Sie bewegen sich vorwärts.» Mit anderen Worten: Die EZB fühlt sich frei, bei Bedarf weitere Sondermassnahmen einzuleiten, wenn sie dies für nötig erachtet, oder darauf zu verzichten.
Ganz anders die Schweizerische Nationalbank SNB: Sie ist de facto dazu gezwungen, solange an ihrem bisherigen Tief- und Negativzinskurs festzuhalten, bis die Währungshüter der Eurozone die Zinsen erhöhen – irgendwann einmal, jedenfalls frühestens nächstes Jahr. Denn wenn die Nationalbank – wider Erwarten – den ersten Zinsschritt machen würde, könnte dies rasch den Kurs des Frankens zum Euro stark nach oben treiben.
Das würde der Schweizer Exportindustrie schaden und das Wirtschaftswachstum in der Schweiz abwürgen. So eine neuerliche Frankenstärke zu provozieren, ist das Letzte, was die Nationalbank will. Also hält sie ziemlich sicher bis auf weiteres still.