Für ursprünglich arme Länder wie die Karibikinseln St. Kitts und Nevis oder die Mittelmeerinsel Malta sind diese Programme ein bisschen wie eine Ölquelle finden, sagt Oliver Bullough. Eine grossartige Einnahmequelle. Nur, dass es statt einer Ölquelle die eigene Staatsangehörigkeit ist, die ausgebeutet und verkauft wird.
Die Geschäfte mit Aufenthaltsrechten und Staatsangehörigkeiten seien auch nicht illegal, sagt Bullough. Überhaupt nicht. Denn die Länder seien ja souverän. Und könnten selbst darüber entscheiden, wem sie ihre Staatsangehörigkeit verliehen. Länder hätten das bis zu einem gewissen Grad auch immer gemacht, ob bei Sportlern oder Wissenschaftlern – wer auch immer ihrer Wirtschaft nützte.
Wenn verschiedene Klassen von Bürgern existieren, verliert das Wort seine Bedeutung.
Trotzdem findet Oliver Bullough den Nationalitäten-Handel problematisch. Er verschärft Ungleichheit, sagt der Buchautor. «Ein syrischer Millionär kann seine Heimat ohne grössere Probleme hinter sich lassen, während andere auf Booten fliehen und dabei ihr Leben riskieren.» Das Geld schaffe eine neue Klasse von Staatsbürgern. «Und wenn verschiedene Klassen von Bürgern existieren, verliert das Wort seine Bedeutung.»
Ein Sicherheitsrisiko für die EU?
Diese Ungleichheit ist lange nicht alles, was die wachsende Zahl der Kritiker beunruhigt. EU-Kommissarin Vera Jourova sieht in der Millionärs-Migration sogar ein Sicherheitsrisiko für die ganze EU.
Malta sei nicht das einzige Land, das die EU wegen Geldwäscherei-Vorwürfen unter die Lupe nehmen werde, sagt die Kommissarin für Justiz und Konsumentenschutz. Sie befürchtet, dass auch Kriminelle sogenannte goldene Pässe missbrauchen, um sich in der EU niederzulassen – ein Risiko, vor dem Interpol und Nichtregierungsorganisationen schon länger warnen.
Wettbewerb nach unten
Dass es in der EU keine einheitlichen Standards für die Vergabe von Visa und Pässen an Superreiche gebe, ermuntere die EU-Länder zu einem Wettbewerb nach unten, kritisiert die Aktivistin Laure Brillaud von Transparency International. «Je niedriger die Sicherheitsanforderungen an die potenziellen neuen Staatsbürger, desto bessere Chancen hat ein Land, neue reiche Bürger und damit neue Direktinvestitionen ins Land zu ziehen», kritisiert sie. Das erhöhe aber auch das Risiko für Geldwäscherei und Korruption.
In der EU-Kommission ist die Botschaft angekommen. Bis Ende Jahr will sie nun Richtlinien formulieren, die von den Mitgliedsländern verlangen, bei Pass-Anwärtern strenger hinzuschauen. Gut ein Dutzend EU-Länder bieten inzwischen Visa im Tausch gegen Investments an, vier verkaufen zudem Pässe an Superreiche.
Malta verlangt für einen Pass eine Mindestinvestition von 880'000 Euro, Zypern von zwei Millionen. Das ist im Vergleich zu anderen Staaten teuer. Trotzdem sind Malta und Zypern weltweit die beliebtesten Anlaufländer für Millionärs-Migranten. Der Vorteil für Neubürger: Wer einen Pass von Malta erwirbt, ist EU-Bürger und kann sich überall in der EU niederlassen. Und visafrei in fast 170 Staaten reisen.
25 Milliarden Euro an Investitionen
Der Markt ist nicht sehr transparent. Nur wenige Länder legen offen, wen sie ins Land lassen und was sie damit verdienen. Nach Recherchen der Nichtregierungsorganisationen Transparency International und Global Witness haben die EU-Staaten im letzten Jahrzehnt rund 25 Milliarden Euro an Direktinvestitionen mit dem Verkauf von Visa und Pässen angezogen. Insgesamt sind demnach rund 6000 Pässe und fast 100'000 Visa an Millionärs-Migranten in der EU vergeben worden. Sie haben Beispiele, dass damit auch Kriminelle in die EU kamen.
Wir sehen ein ernsthaftes Risiko, dass der ganze Fortschritt bei der Steuertransparenz zunichte gemacht wird.
Nicht nur von der EU droht der globalen Industrie mit Aufenthaltsrechten und Staatsangehörigkeiten Gegenwind. Auch die Industrieländerorganisation OECD fordert strengere Regulierung. Sie befürchtet, dass die goldenen Visa und Pässe zur Steuerhinterziehung missbraucht werden könnten.
«Wir sagen nicht, dass es schon massiven Steuerbetrug gibt», sagt OECD-Steuerchef Pascal Saint-Amans. «Aber wir sehen ein ernsthaftes Risiko, dass durch den Handel mit Staatsangehörigkeiten und Aufenthaltsrechten der ganze Fortschritt der letzten zehn Jahre bei der Steuertransparenz zunichte gemacht wird.»
Den Automatischen Informationsaustausch (AIA), bei dem Länder neuerdings Kontodaten von Kunden austauschen, könne man nämlich austricksen, sagt der Steuerexperte. So, dass am Ende die Information über ein bestimmtes Konto in einem falschen Land lande.
Denn wer wo Steuern zahlt, hängt vom Wohnsitz ab, nicht von der Staatsangehörigkeit. «Ich eröffne ein neues Konto bei der Credit Suisse und erzähle denen, dass ich auf St. Kitts und Nevis wohne. Die Schweizer Steuerbehörden würden dann alle meine Kontodaten auf die Karibikinsel schicken», so Saint-Amans.
«Und was würden die Behörden dort mit meinen Daten machen? Gar nichts. Denn dort gibt es nicht mal für Einheimische eine Steuerpflicht.» Um diese Nicht-Besteuerung zu verhindern, hat die OECD in einem ersten Schritt Malta und Zypern auf eine schwarze Liste von 21 Staaten gesetzt, bei denen sie durch Verkauf von Visa und/oder Pässen ein erhöhtes Risiko für Steuerbetrug sieht.
Goldene Visa verschärfen die Ungleichheit
Ob die angekündigte Regulierung der OECD ausreiche, um gegenzusteuern, bezweifelt Andres Knobel vom Tax Justice Network, einem internationalen Netzwerk, das gegen Steuervermeidung und Steuerhinterziehung kämpft. Man habe ja noch nicht einmal Statistiken.
Und darum könnten sehr reiche Menschen wohl auch weiterhin mit einem goldenen Visum oder Pass auch das Recht kaufen, keine Steuern zahlen zu müssen. Buchautor Oliver Bullough: «Das untergräbt die Natur der Staatsangehörigkeit. Und verschärft die Ungleichheit zwischen Armen und Reichen umso mehr.»