Die ungewöhnliche Situation, in die Covid-19 die ganze Welt gestürzt hat, erfordert ungewöhnliche Massnahmen. Eine davon: Weltweit spannen in der Pharmaindustrie grosse Konkurrenten zusammen, um der Pandemie und ihrer Folgen Herr zu werden.
Unterschiedliche Konsortien arbeiten an einem gemeinsamen Ziel: einen Impfstoff gegen das Coronavirus zu erforschen und entwickeln.
Jedermann in der Industrie sagt: Das ist nicht business as usual. Alle sind sich bewusst: Wir haben eine riesige Verantwortung.
Die Unternehmen machen das in noch nie dagewesenen Kooperationen, sagt Thomas B. Cueni: «Jedermann in der Industrie sagt: Das ist nicht business as usual. Alle sind sich bewusst: Wir haben eine riesige Verantwortung. Man redet auch miteinander. Man sucht unterschiedliche Ansätze.»
Cueni muss es wissen, schliesslich ist er seit über 30 Jahren in der Branche tätig: erst als Pharma-Lobbyist in der Schweiz; aktuell als Generaldirektor des internationalen Pharmaverbands IFPMA, der die weltgrössten Pharmakonzerne vereint.
Und tatsächlich sind weltweit zahlreiche Kooperationen bekannt, an welchen «Big Pharma» beteiligt ist. Mit Sanofi Pasteur aus Frankreich und der britischen GlaxoSmithKline arbeiten sogar zwei der weltgrössten Impfstoffhersteller zusammen, die sich normalerweise konkurrenzieren.
Es gibt aber auch andere Kooperationsformen: So arbeitet Pfizer aus den USA – hinter Roche zweitgrösster Pharmakonzern der Welt – mit Biontech zusammen, einem Startup aus Deutschland. AstraZeneca, ebenfalls ein Top-Ten-Pharma-Unternehmen, kooperiert mit der renommierten Universität Oxford in England.
Man weiss, dass vier von fünf Impfstoffen scheitern, die in die klinische Forschung kommen. Auch hier werden wir noch Enttäuschungen haben.
Johnson & Johnson schliesslich, auch einer der ganz Grossen im Impfstoffbereich, forscht einerseits alleine, andererseits mit verschiedenen Partnern.
Lange nicht alle Projekte werden erfolgreich verlaufen, sagt Thomas Cueni: «Man weiss, dass vier von fünf Impfstoffe scheitern, die in die klinische Forschung kommen. Auch hier werden wir noch Enttäuschungen haben.»
Aktuell sind es vor allem kleinere Biotech-Unternehmen, die als Hoffnungsträger gelten. Zum Beispiel Curevac aus Deutschland oder Moderna aus den USA.
Moderna hat seinen noch gar nicht zugelassenen Impfstoff bereits mehrfach an Staaten verkaufen können, unter anderem an die Schweiz. Das Bundesamt für Gesundheit hat 4.5 Millionen Dosen des Impfstoffes gekauft für geschätzt 150 Millionen Franken.
Nachdem US-Präsident Donald Trump das Wettbieten um einen Impfstoff lanciert hatte, sind zahlreiche andere Staaten seinem Beispiel gefolgt und haben Gelder in Startups investiert, in der Hoffnung, eines davon werde einen Impfstoff gegen Covid-19 finden.
Das Biotech-Startup Innomedica aus Marly FR hat bisher noch kein staatliches Geld erhalten. Dennoch weiss Stéfan Halbherr, Leiter Forschung und Entwicklung, warum gerade die kleinen Firmen so stark sind: «Als Kleiner hat man immer die Vorteile der Agilität. Man kann sehr schnell etwas ändern. Man ist sehr schnell an der technischen Front», sagt er.
Auch wenn die Kleinen führend sind in der Forschung – an Big Pharma komme keiner vorbei, sagt Thomas Cueni: «Man muss sich überlegen: Der bisher meist hergestellte Impfstoff ist Polio. Das waren rund 450 Millionen Impfdosen».
Bei Covid-19 aber rechne man mit einem Bedarf von 12 bis 15 Milliarden Dosen, da sich gezeigt habe, dass man voraussichtlich jeden Menschen zwei Mal impfen müsse: «Es gibt ganz wenige Firmen, die das Know-how haben und in der Lage sind, das so herzustellen.»
Eine dieser Firmen ist Lonza. Der Pharmazulieferer baut in Visp VS aktuell massiv aus. Drei Produktionslinien für den Impfstoff des US-Biotechs Moderna sollen hier Platz finden. Eine vierte Produktionslinie ist den USA geplant. Der Deal wurde laut Lonza-Chef Albert Baehny nach nur zwei Telefongesprächen eingefädelt.
Kosten: 280 Millionen Dollar – für die Herstellung eines Medikaments, das noch gar keine Marktzulassung hat. Allerdings bezahlt Lonza nur ein Viertel der Anlagen selber, wie Konzernchef Albert Baehny betont. Den Rest bezahlt Moderna.
«Moderna hat von der US-Regierung ungefähr 950 Millionen Dollar bekommen. Mit anderen Worten: Die Investitionen in die Produktionslinien, aber auch die Kosten für die klinischen Phasen sind im Prinzip von der US-Regierung bezahlt», sagt Baehny.
Auch das ist neu mit Covid-19: Es sind auch Staaten, die ein grosses Risiko tragen in der Impfstoff-Forschung und nicht nur Pharmakonzerne. Auch deshalb verspricht Thomas Cueni im Fall eines erfolgreichen Impfstoffs: «Die Industrie wird zwar kein Geld verlieren, aber sie wird auch nicht Milliarden daran verdienen. Sie wird sich sozial verantwortlich verhalten.»