Die Arbeitswelt im Wandel: Wir arbeiten jederzeit und von überall her. Zusätzlich haben sich neue Organisationsmodelle entwickelt, die mit traditionellen Führungsstrukturen brechen. Stephanie Kaudela, Professorin für Führung und Innovation, an der Hochschule Luzern, beschäftigt sich damit.
SRF News: Agile Ansätze und neue Organisationsmodelle wie Holokratie schaffen Hierarchien ab oder reduzieren diese massgeblich. Sowohl Mitarbeiter als auch Teams erhalten mehr Verantwortung. Wie funktioniert ein Unternehmen ohne Hierarchie?
Kaudela: Es ist ein Vorurteil, dass durch diese Modelle das ganze Unternehmen im Chaos versinkt, denn in diesen Ansätzen wird nicht die Führung abgeschafft, sondern lediglich die traditionelle Führung, die sich sehr stark aus hierarchischen Positionen ableitet. Führung wird neu auf mehrere Rollen verteilt.
Was bedeutet das konkret, wenn mehrere Personen in die Führung involviert sind?
Bei agilen Methoden werden Lösungen im Team in kleinen, iterativen Entwicklungsschritten erarbeitet, und dies erfordert eine enge Abstimmung unter den Teammitgliedern und hohe Präsenz. Daher ist Teamgeist gefordert. Führung und Kommunikation sind in agilen Prozessen das A und das O.
Die neuen, flexiblen Organisationsmodelle wurden durch die Tech-Branche inspiriert, entsprechend arbeiten aktuell vor allem techniknahe Firmen damit. Können auch andere Branchen davon profitieren?
Diese neuen Modelle haben sich in der Schweiz definitiv etabliert. Es gibt viele Branchen, auch ausserhalb der IT-Branche, die sich ganz eigene Mischformen davon angeeignet haben. Generell funktionieren agile Modelle in kleinen Unternehmen einfacher als in grossen. In Grossunternehmen ist damit ein aufwändiger Change Prozess verbunden, und die Führung muss klar dahinterstehen. Die Einführung agiler Ansätze macht generell eher in einem komplexen Umfeld, bei Unternehmen mit einem hohen Marktdruck, kurzen Innovationszyklen und einem hohem Digitalisierungsgrad Sinn.
Viele Unternehmen nutzen «Agilität» auch, um junge Berufseinsteiger anzulocken.
Natürlich, «agil» ist ein Modewort. Es sagt aus: «Wir sind die 'Punks' der Wirtschaftsbranche». Damit kann die Marketingabteilung spielen, das finde ich auch nicht bedenklich. Aber wenn es nicht zur Realität passt, dann ist das Unternehmen nicht mehr glaubwürdig. Agile Methoden kann man nicht verordnen, dass muss man auch als Unternehmen leben.
Agilität hat in Schweizer Unternehmen längst Fuss gefasst, sagen Sie. Ist der nächste Schritt, dass der einzelne Arbeitnehmer in einem Co-Working Space alleine für verschiedene Arbeitgeber arbeitet – Freelance total quasi?
Keine Angst. Dass wir alle als «freie Radikale» in Büros sind und nur noch virtuell miteinander agieren, ist nicht die Idee von agilen Methoden. Im Gegenteil, sie basieren auf Präsenz und Absprachen im Team. Das Kollektiv hat einen enormen Stellenwert.