Beige Backsteinbauten säumen den schmalen Bach zwischen Bahnlinie und Autobahn. Hier auf dem Maggi-Areal in Kemptthal bei Winterthur wurden bis vor rund 20 Jahren Brühwürfel oder Fertiggerichte hergestellt. Das Areal heisst nun «The Valley», und neue Unternehmen haben sich in den trutzigen Gebäuden niedergelassen. So auch der Start-up «Planted».
Mitgründer Christoph Jenny sitzt im firmeneigenen Bistro mit direktem Blick in die Produktionshalle. Förderbänder transportieren eine bräunliche, teigähnliche Masse. Eine Maschine reisst sie in Stücke. Eine Gruppe Arbeiterinnen sortiert von Hand den Ausschuss aus, der Rest kommt als pflanzliches «Geflügelgeschnetzeltes» in Metallbehälter zur Weiterverarbeitung.
Tiefgefrorener Pflanzenstrang
Auf der Suche nach einem pflanzlichen Fleischersatz habe er sich mit seinem früheren Schulkollegen Pascal Bieri durch die Angebotspalette durchgekocht – das Ergebnis habe ihn nicht befriedigt: zu wenig Biss, zu viele Zusatzstoffe, erinnert sich Jenny. Dann seien sie auf den Prototypen des ETH-Forschers Eric Stirnemann gestossen: «Er holte aus seinem Rucksack einen in Plastik verpackten Strang. Diesen legte er tiefgefroren in die Pfanne.» Das Produkt überzeugte. «Mittlerweile haben wir auch das Zubereiten und Präsentieren gelernt», grinst der Gründer.
Keine Gelberbsen aus der Schweiz
Zu viert haben sie vor zwei Jahren «Planted Foods» aus der Taufe gehoben. Nun beschäftigt das Start-up 120 Mitarbeitende, liefert Produkte in die Gastronomie, an Schweizer Grossverteiler und exportiert das Fleischersatz-Produkt nach Deutschland, Österreich und Frankreich. Christoph Jenny führt durch die improvisierten Büroräume ins Labor zum Herzstück des Start-ups: eine Maschine, ein sogenannter Extruder. Für ihr Standardprodukt braucht es Proteine und Fasern von Gelberbsen, Wasser und Rapsöl. Diese werden in einem Rührwerk erhitzt und durch Düsen gepresst. Diese kühlen die Masse vom Rand her ab. «Dabei entsteht die fleischähnliche Struktur.»
Christoph Jenny führt in eine grosse Fabrikhalle. In einer Art Glashaus produziert ein Extruder die bräunliche Masse mittlerweile rund um die Uhr. Was Jenny bedauert: Der Rohstoff, die Gelberbsen, stammen nicht aus der Schweiz. Sie hätten hier keine passenden Produkte gefunden.
Wir ändern das Ernährungssystem fundamental.
Neben der Produktion bauen die Jungunternehmer derzeit auch ihre Forschungsabteilung aus. Dabei arbeiten sie mit Hochschulen zusammen, ebenso mit anderen Unternehmen.
Jenny ist überzeugt: «Es braucht ein Umdenken in der Gesellschaft punkto Ernährung.» Es brauche Netzwerke, um neue Ausbildungsgänge zu entwickeln, neue Maschinen, um andere Rohstoffe anzubauen. Hier sei auch die Politik gefordert, stellt Christoph Jenny fest: «Da mangelt es noch an Verständnis. Wir ändern das Ernährungssystem fundamental. Das ist eine riesige Chance für den Standort Schweiz, den Standort Europa. Wir können nicht allein an den traditionellen Industrien festhalten, sondern müssen auch das Potenzial neuer Ideen erkennen und fördern.»
Booster für Start-ups
In Lausanne ist das Swiss Food & Nutrition Valley zuhause. Das Netzwerk hat sich der Förderung einer neuen, ökologischeren Nahrungsmittelproduktion verschrieben. Angeschlossen haben sich Grosskonzerne, Eidgenössische Hochschulen, einzelne Kantone und eine Reihe von Start-ups. So auch Ecorobotix aus Yverdon.
Ihr Roboter soll künftig selbstständig über die Felder fahren, mit hochpräzisen Fotozellen und künstlicher Intelligenz Unkraut erkennen und gezielt vernichten. «Unsere Stärke ist die hohe Präzision. Dadurch braucht es massiv weniger Pestizide», erklärt Gründer Aurélien Demaurex.
«Start-ups haben nicht unendlich Zeit und Geld», erklärt Christina Senn-Jacobsen, die Geschäftsführerin des Netzwerks. Deren Ideen sollten deshalb gemeinsam weiterentwickelt werden, um sie rasch umzusetzen. «Ein Food-Start-up fängt meist mit Experimenten in die Küche an. Der Schritt in die richtige Produktion ist schwierig, die Maschinen sind sehr teuer.» Das Netzwerk könne da wichtige Unterstützung vermitteln.
Politik einbinden
Das Swiss Food & Nutrition Valley sei eine nicht-politische Nonprofit-Organisation, bestätigt Senn-Jacobsen. Dennoch spiele die Politik eine wichtige Rolle, wenn es um neue Ernährungssysteme geht. Sie hofft, dass Politik und Verbände sich vermehrt dem Netzwerk anschliessen, trotz unterschiedlicher Ansichten der Mitglieder.
Wir müssen das System sofort ändern und nicht erst morgen.
Für eine andere Ernährung setzt sich auf höchster Ebene auch die UNO ein. Der UNO-Gipfel zu Ernährungssystemen setze ein wichtiges Signal von der Bühne der Weltpolitik, dass neue Ideen dringend nötig sind, sagt die Netzwerkerin. «Wir müssen das System sofort ändern und nicht erst morgen.» Und sie betont: Die Schweiz müsse ihr Wissen und ihre Technologien mit anderen Ländern teilen. Mit Technologielieferungen allein sei es aber nicht getan. «Wir müssen die Probleme vor Ort verstehen und ebenso vor Ort Lösungen finden.»
Kleinbauern ernst nehmen
Der UN Food Systems Summit stösst aber nicht überall auf uneingeschränktes Wohlwollen. Eine lange Liste von Hilfswerken und Nichtregierungsorganisationen übt Kritik. Das überrascht, engagieren sich diese Organisationen doch stark im Kampf gegen den Hunger auf der Welt.
«Die direkt betroffenen Kleinbäuerinnen und -Bauern, welche einen Grossteil unserer Nahrung produzieren, sind am Verhandlungstisch der UNO nicht vertreten», kritisiert Sonja Tschirren. Die Agrarökologin arbeitet für das Hilfswerk Swissaid. Eine weltumspannende Organisation wie die UNO suche nach gemeinsamen Nennern. «Da ist es wichtig, dass nicht nur die Sicht von Grosskonzernen und Regierungen Gehör finden.»
Kleinbäuerinnen und Kleinbauern wollen als Unternehmer ernst genommen werden.
«Die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern wollen als Unternehmer ernst genommen werden», erklärt Tschirren. Sie bräuchten nicht zwingend teure Technologien, vielmehr Unterstützung, um ihre Produktion mit einfachen Mitteln umweltverträglicher und effizienter machen zu können. Tschirren befürchtet deshalb, dass die Diskussionen am UNO-Gipfel oberflächlich bleiben.