Was wollen Jugendliche von Medien? Diese Frage stellen sich derzeit viele Medienhäuser. Eine, die diesen Fragen nachgeht, ist Sandra Cortesi. Sie ist Direktorin des «Youth and Media»-Projekts am «Berkman Klein Center for Internet and Society» an der US-Universität Harvard. Für den «Tages-Anzeiger» und zuvor für «20 Minuten» hat sie das sogenannte Youthlab konzipiert.
Mit dem Youthlab will der Verlag herausfinden, welche Bedürfnisse und welche Erwartungen Jugendliche an die Medien-Marken haben, sei es für die Online-Angebote oder für die Print-Ausgabe.
Die Ergebnisse fliessen zurück in die Redaktion, aber auch in die Forschungsarbeiten von Sandra Cortesi, denn das Youthlab ist so konzipiert, dass sich daraus allgemein gültige Aussagen ableiten lassen.
Im Youthlab für den «Tages-Anzeiger» haben insgesamt 30 Jugendliche an 12 Abenden unterschiedliche Fragen diskutiert. Zum Beispiel, welche Textformate ankommen, wie und wo junge Menschen auf die Zeitung aufmerksam gemacht werden können und welche Inhalte Jugendliche auf ihren Social-Media-Kanälen gerne teilen. Am letzten Workshop-Abend diskutierten die Jugendlichen, wie man sie von kostenpflichtigen Inhalten überzeugen könnte.
Allerdings geht es nicht in erster Linie darum, die Jugendlichen heutzutage für ein Abo zu motivieren, sondern zu verstehen, welche Faktoren für Jugendliche entscheidend sind, damit sie später, nach der Lehre oder dem Studium, zum Beispiel den «Tages-Anzeiger» als ihr Leitmedium wählen.
Bereits am letzten Abend des Youthlab im vergangenen Dezember kristallisierten sich Antworten heraus. So hätten Jugendliche zum Beispiel ein anderes, breiteres Verständnis von Aktualität als eine klassische Tageszeitung, sagt Sandra Cortesi. Themen wie mentale Gesundheit und persönliches Wohlbefinden seien gefragt.
Weiter hat der Verlag aufgrund des Youthlab nun den Newsletter Hochformat lanciert, ein Newsletter, mit dem wöchentlich Inhalte aus der Zeitung speziell aufbereitet werden und der im gleichnamigen Instagramkanal zu finden ist.
Zeitungen als Leitmedium verlieren an Bedeutung
Wie macht man sich bei den Jugendlichen bekannt? Das ist eine Frage, nach deren Antworten auch andere traditionelle Verlage suchen. Denn neue Leserinnen und Leser zu gewinnen, ist deutlich schwieriger geworden. So stellt etwa die «NZZ» fest: «Frühere Generationen sind mit der «NZZ»-Printausgabe auf dem Küchentisch aufgewachsen und wurden so bereits in jungem Alter an die Zeitung herangeführt. Bei der heutigen jüngeren Generation ist das nicht mehr der Fall».
Medienverlage können über die Inhalte eine Beziehung zu Jugendlichen aufbauen, damit sie das Medium später als Leitmedium im Alltag mitnehmen.
Forschungen der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) zeigen, dass sich Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 12 und 14 zwar noch am Medienkonsum der Eltern orientieren. Doch in drei Vierteln der Haushalte gibt es ein Abo für Streamingdienste und Games. Zeitungen als Leitmedium hingegen liegen weniger herum.
Die Medienhäuser versuchen darum, mit spezifischen Angeboten an die Lebenswelt von Jugendlichen anzuknüpfen. Gemäss den Forscherinnen und Forschern an der ZHAW sind Jugendliche im Alter zwischen 15 und 17 am offensten. «Sie kann man am besten über ihre Interessen und Themen erreichen. Medienverlage könnten darum über die Inhalte für Junge eine Beziehung aufbauen und dann darauf bauen, dass Jugendliche das Medium später als Leitmedium im routinierten Alltag mitnehmen», so Nadine Klopfenstein Frei von der ZHAW.
Genau das tun die traditionellen Verlagshäuser bereits.
Die «NZZ» zum Beispiel will jüngere Zielgruppen unter anderem über den täglichen Podcast «NZZ Akzent» erreichen und Video-Formate richten sich speziell an jüngere Zielgruppen.
Auch Ringier, Herausgeberin der Blick-Medien, hat für das jüngere Publikum spezielle Produkte kreiert. Der Social-Media-Kanal «Soda bei Blick» auf Instagram und Tiktok vermittelt den Zielgruppen News und Nützliches für ihr Alltagsleben. Themen wie Ernährung, Finanzen, Weiterbildung, Soziales, Beruf und Konsum seien für diese Zielgruppe besonders relevant.
Die Macherinnen und Macher des Formats sind ebenfalls jung und vermitteln die Inhalte darum auf Augenhöhe. Offenbar gelingt das: 76 Prozent der Follower seien unter 25-jährig, 62 Prozent weiblich, so Ringier auf Anfrage von Radio SRF.
CH Media, die Herausgeberin von Lokalzeitungen wie «Luzerner Zeitung» oder «Aargauer Zeitung» ist mit den Inhalten für jüngere Zielgruppen auf den sozialen Kanälen präsent. Zudem bietet der Konzern über die «Today-Plattformen» einem jüngeren Publikum Zugang zu informativen und unterhaltenden regionalen Inhalten. Dass Jugendliche von diesen Plattformen aus auf die Abo-Möglichkeit der Lokalzeitungen gelotst würden, sei aber nicht der Kerngedanke der Plattformen, so ein Sprecher auf Anfrage.
Witzige und visuelle Inhalte ziehen bei Jugendlichen
Um Erkenntnisse darüber zu gewinnen, was bei Jugendlichen überhaupt gefragt ist, setzen die Verlage auf Befragungen oder Workshops, an denen sie direkt mit den Jugendlichen in Kontakt kommen.
Im Zentrum steht die Konkretisierung für die spezifische Medienmarke. Denn die Präferenzen von Jugendlichen sind den Verlagen grundsätzlich bekannt. Sie wurden breit erforscht. So haben Forscherinnen der Zürcher Hochschule ZHAW herausgefunden, dass bei Jugendlichen zum Beispiel vor allem Bildinhalte gut ankommen.
Man kann Jugendliche nicht als regelmässige Nutzer journalistischer Inhalte auf der eigenen Plattform gewinnen.
«Es muss witzig sein, es muss visuell sein, es muss sie ansprechen», sagt Nadine Klopfenstein Frei. Vor allem aber müsse es aus der Masse herausstechen, denn Jugendliche würden bis zu 1000 Seiten folgen.
Dass sich Jugendliche per se nicht für komplexere Themen interessieren, ist indes eine Mär. Die Herausforderung für die Medienhäuser ist jedoch, dass sich die Jugendlichen angesprochen fühlen.
Ein Beispiel, wie das funktionieren kann, liefert das Nachrichtenportal «Watson».
«Watson» spricht nicht von Jugendlichen, sondern von Journalismus für nachwachsende Generationen von Mediennutzenden und Nutzungsgewohnheiten. Zielgruppe sind laut «Watson» all jene, die keine klassischen linearen Massenmedien wie Radio, TV und Print nutzen. Das sei keine Frage des Alters.
Auf die Frage, was traditionelle Medien anders machen müssten, um Jugendliche auf ihre Plattformen zu bringen, sagt «Watson»-Chefredaktor Maurice Thiriet: «Man kann Jugendliche nicht als regelmässige Nutzer journalistischer Inhalte auf der eigenen Plattform gewinnen, die haben andere Probleme. Aber man kann sich in den Kanälen und in den Formen präsentieren, die sie kennen. Sobald sie Steuern zahlen und abstimmen oder wählen müssen, wissen sie, wo sie sich mit journalistisch gemachten Inhalten informieren können».
Genau das tun die Medienhäuser bereits.