Der Austritt von Raiffeisen birgt Sprengpotential und erschüttert die Bankiervereinigung ganz offensichtlich in ihrem Selbstverständnis. Wie wenn sie es nicht wahrhaben möchte, schreibt sie ausgerechnet im Raiffeisen-Austritts-Communiqué zualleroberst: «Die Schweizerische Bankiervereinigung (SBVg) vereint als Dachverband sämtliche acht Bankengruppen und damit nahezu alle Banken in der Schweiz.» Das stimmt zwar noch – allerdings nur bis zum Raiffeisen-Austrittstermin am 31. März nächsten Jahres.
Raiffeisen geht aus strategischen Gründen
Nicht nur der Austritt von Raiffeisen lässt aufhorchen, sondern auch die Begründung: Die Interessenvertretung durch einen Verband passe nicht mehr zur Gruppenstrategie. «Als Inland-orientierte und genossenschaftliche Bankengruppe wird Raiffeisen ihre Interessen künftig eigenständig vertreten.»
Der Vorgang erinnert an eine bunt zusammengewürfelte Reisegruppe mit unterschiedlichen Interessen – vom Klassikkonzert bis zum Fussballmatch. Sich auf ein einziges Programm zu einigen, verursacht Aufwand und führt mutmasslich nicht für alle zu befriedigenden Ergebnissen. Weshalb sich die Reisenden einvernehmlich aufteilen in eine Klassik- und eine Fussballgruppe. Bis auf eine einzelne wie Raiffeisen, die die Reisegruppe ganz verlässt.
Hoher Einigungsaufwand unter fast 300 Instituten
Die Website der Bankiervereinigung listet stolz ihre Zahlen auf: fast 300 Mitgliedsinstitute, vier Steuerungsausschüsse, fünf Fachkommissionen, fast 500 Vertreter der Bankengruppen. Was den einen eindrücklich erscheint, mag auf andere furchteinflössend wirken. Wie lange mag es dauern, bis sich die Aargauische Kantonalbank, die Ersparniskasse Rüeggisberg und UBS beim Thema Finanzmarktregulierung einigen? Falls sie überhaupt je zu einer einheitlichen Position finden.
Fehlen die grossen Themen?
Könnte es sein, dass dem Bankensektor die ganz grossen einigenden Themen der Vergangenheit etwas abhandengekommen sind? Man denke an die Verteidigung des Bankgeheimnisses, an dem Alt-Finanzminister Merz noch 2008 das Ausland sich die Zähne ausbeissen lassen wollte. Oder zehn Jahre zuvor, an die Bewältigung der Kontroverse um die nachrichtenlosen Vermögen, die den ganzen Finanzplatz während Jahren beschäftigt hatte.
Solch branchenübergreifende Themen höchster Priorität und Wichtigkeit, zu denen es sich lohnt, in einem langwierigen Prozess eine gemeinsame Position zu erarbeiten, scheinen heute – zumindest für Raiffeisen – nicht mehr gegeben zu sein. Die Nachhaltigkeit des Finanzplatzes beispielsweise, auf die der Verband jüngst unter anderem fokussiert, mag zwar prioritär und wichtig sein. Gleichzeitig berauben branchenweite Initiativen die einzelnen Institute um begehrte Profilierungsmöglichkeiten.
Austrittswelle eine Frage der Reaktion
Ob nun der Austritt von Raiffeisen zu einer Austrittswelle führen wird, ist die grosse Frage, die im Raum steht. Die Antwort dürfte auch davon abhängen, wie die Bankiervereinigung nun reagiert. Wird sie – wie die bunt zusammengewürfelte Reisegruppe mit ihrer Aufteilung in eine Klassik- und eine Fussballgruppe – es schaffen, für die einzelnen Bankentypen mit ihren unterschiedlichen Interessen unter dem Dach der Bankiervereinigung Untergruppen zu bilden, dann dürfte sie durchaus eine Zukunft haben. Misslingt ihr dies, könnte Raiffeisen bald zahlreiche Nachahmer finden.