Mark Pieth sitzt auf einer Bank am Hafenbecken 1 des Basler Rheinhafens. Auf der einen Seite fischt ein Kran Aluminium-Barren aus dem Bauch eines Schiffs. Auf der anderen Seite krallt sich ein Kran Container um Container vom Lager und stapelt sie auf einem Rheinschiff, das eben angelegt hat. Der emeritierte Basler Strafrechtsprofessor hat sich ausführlich mit der Schifffahrt beschäftigt und mit der Basler Anwältin Kathrin Betz ein Buch geschrieben.
«Das ist die Eingangspforte für einen ganz grossen Teil der Güter, die in die Schweiz kommen», sagt er und zeigt auf das Becken. Schwere Dinge oder Massengüter sind per Schiff einfacher zu transportieren. Über 90 Prozent der Waren werden über die Weltmeere transportiert. Doch: Das Schifffahrtsgeschäft weltweit ist undurchsichtig, was Raum schafft für Verschleierungen, wie der Geldwäscherei-Experte kritisiert.
Hochseeschiffen sieht man ihre Herkunft nicht direkt an. Ein Schiff, das einem Konzern mit Sitz in der Schweiz gehört, muss nicht unbedingt eine Schweizer Flagge am Heck hissen. Beliebt ist die Flagge von Panama, da die Auflagen kleiner sind. Panama müsste bei unzähligen Schiffen unter ihrer Flagge prüfen, ob Umwelt oder Sicherheitsregeln eingehalten werden.
Mark Pieth macht da ein grosses Fragezeichen: «Das Problem solcher Billigflaggen ist, dass sie das gar nicht leisten können und deshalb Klassifikationsgesellschaften damit beauftragen. Diese sind aber als Berater wie Aufseher tätig.» Da sei es schwierig, Kontrollen rechtmässig zu machen.
Auch ist es schwierig festzustellen, wem diese Ozeangiganten gehören. Konzerne wie MSC sind Reedereien und betreiben die Schiffe, sind aber nicht zwingend auch deren Eigner, die sie gebaut und finanziert haben. «Die MSC Zoe, die im Ärmelkanal hunderte Container verloren hat, hat einer Firma in Hongkong gehört», erklärt Mark Pieth.
Konzerne sind in der Regel Charterer der Hochseeschiffe. Sie mieten sie für eine Fahrt oder für eine gewisse Zeitspanne. Beim «Bare Boat Chartering» mieten sie ein nacktes Schiff, rüsten es aus, stellen Crew und Kapitän und schicken es auf Reisen.
Problematisch werde dieses Modell dann, wenn bei Verfehlungen die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden müssten, warnt Pieth: «Laut internationaler Regularien sind alle ein bisschen verantwortlich und niemand so richtig. Es ist sehr einfach, über Gesellschaften oder Briefkastenfirmen die wahren Eigentümer zu verstecken.»
Die Regeln für den Schiffstransport auf den Weltmeeren definiert die «International Maritime Organisation» IMO, ein UNO-Gremium, das für Mark Pieth zu wenig schlagkräftig ist: «Da müssen sich 170 Staaten einigen. Das heisst, dass das Niveau dieser Regularien nicht besonders hoch ist.» Deshalb setze zum Beispiel die EU auf eigene, schärfere Regeln. Doch sei es relativ einfach, sich aus der EU auszuflaggen, um die Auflagen umgehen zu können.
Alte Schiffe enthalten Asbest und Quecksilber
Nicht nur Unfälle von Hochseeschiffen sorgen für Probleme. Auch die Arbeitsbedingungen auf Schiffen sind oft mangelhaft. Vor allem aber verbrauchen die Hochseeschiffe riesige Mengen an klimabelastendem Schweröl.
Ein grosses Problem sieht Buchautor Mark Pieth auch, wenn die Ozeangiganten ihre letzte Reise antreten. «Alte Schiffe enthalten normalerweise Schadstoffe wie Asbest, Quecksilber oder schädliche Farben. Bis zu 70 Prozent dieser alten Schiffe werden an Stränden in Indien, Bangladesch und Pakistan abgewrackt», sagt Pieth. «Die Leute arbeiten ohne Schutzausrüstung, die Giftstoffe fliessen bei Flut direkt ins Meer.»
Um das zu unterbinden, schlägt der Basler Jurist eine Art vorgezogene Recycling-Gebühr für Hochseeschiffe vor, ähnlich wie bei einem Kühlschrank. «Man müsste eigentlich am Anfang des Lebens eines Schiffes fürs Abwracken bezahlen. Wenn ein Schiff zum Beispiel in Rotterdam anlegt, muss es eine Kaution hinterlegen. Diese bekommt der Eigner zurück, wenn er das Schiff an einem EU-zertifizierten Trockendock abwracken lässt.» Sonst geht die Kaution verloren.
Um solche Modelle weltweit umzusetzen, sieht Mark Pieth die Schweiz in der Pflicht. Sie soll bei der IMO mehr Einfluss nehmen. «Die Schweizer Vertretung tritt auf, wie wenn sie 18 Schiffe vertreten würde. Dabei müsste sie 2000 Schiffe und mehr vertreten.» Derzeit habe Panama in der IMO das Sagen und würde sich kaum für Umweltanliegen einsetzen.
Mit dieser Forderung stösst er bei der Swiss Trading and Shipping Association STSA auf offene Ohren. Die STSA hat ihren Sitz in Genf und ist die Branchenvertreterin der Schweizer Rohstoff- und Reedereibranche. «Rund 22 Prozent der Transportschiffe werden von Firmen in der Schweiz gesteuert», erklärt STSA-Generalsekretärin Florence Schurch. «Das entspricht rund 3700 Schiffen, die pro Tag unterwegs sind und ebenso 300'000 Seeleuten.»
Sie betont aber: «In der Pflicht ist die IMO.» Deshalb hat sie unlängst ein Weissbuch veröffentlicht, in welchem sie der UNO-Organisation Änderungen vorschlägt. Es benennt auch die ökologischen Probleme. «Die Schifffahrt ist für 2,5 Prozent der Klimagas-Emissionen verantwortlich. Deshalb müssten sich alle an einen Tisch setzen, um nach Lösungen zu suchen», sagt Florence Schurch, hält aber auch fest: «Die Interessen von Schiffbauer und Reedereien sind da nicht deckungsgleich.»
Branche strebt interne Lösung an
Das Weissbuch hält fest, dass die Branche an verschiedenen Massnahmen arbeitet, um die Emissionen zu senken. Doch die Umsetzung braucht Zeit, zu viel Zeit, räumt sie ein: «Die Schiffe, die heute die Werft verlassen, leben gegen 30 Jahre und müssten eigentlich schon klimaneutral sein. Das verlangt das Pariser Klima-Abkommen für 2050.» Doch soweit ist die Branche noch nicht.
Die STSA will vor allem auf wirtschaftliche Anreize setzen, um den Wandel voranzutreiben. Anders als die Vorschläge von Mark Pieth sollen es keine staatlichen Massnahmen sein oder gar Steuern. Die Branche möchte eine interne Lösung, erklärt Florence Schurch. «Die Händler und Reedereien möchten mit eigenen Gebühren einen Fonds äufnen, der von der IMO verwaltet wird. Dieser Fonds soll helfen, schmutzige Schiffe durch Umbauten sauberer oder gar klimaneutral zu machen.»
Die Schweiz ist unter den Schifffahrtsnationen weltweit die Nummer 9, in Europa die Nummer 4. Die Schweiz habe also genügend Gewicht, eine solche Lösung durchzusetzen.
Schurch strebt eine UNO-Lösung an. Denn regional unterschiedliche Regeln machen den Warenverkehr aufwändiger und damit teurer. Und regionale Ansätze gibt es. So will die EU-Klimaabgase besteuern und mehr Schiffe wieder unter europäischen Flaggen nach europäischen Gesetzen fahren lassen. Asien oder Südamerika halten wenig davon. Umgesetzt werden die Regeln in den jeweiligen Häfen oder in Küstennähe.
Mit dem günstigen Transport von Waren auf Hochseeschiffen lässt sich nach wie vor sehr viel Geld verdienen. Die Branche tut sich entsprechend schwer, sich ökologischere Auflagen aufzuerlegen, die Wettbewerbsnachteile mit sich bringen könnten. Bleibt die Frage, ob diese gigantischen Warenmengen auf den Ozeanen noch zeitgemäss sind.