Arme Länder fürchten, bei Corona-Impfstoffen und Medikamenten hintanzustehen. Indien, Südafrika und weitere 100 Länder fordern darum, dass Unternehmen bei Corona-Wirkstoffen während der Pandemie auf Patente verzichten. Das Thema wird am Donnerstag in einer Unterorganisation der Welthandelsorganisation WTO diskutiert.
Ein Patent schützt Erfindungen. Bei Corona aber seien Patente Barrieren, sagt Patrick Durisch von der Nichtregierungsorganisation Public Eye. Denn jene Firmen, die Impfstoffe oder Medikamente entwickelten, entschieden über Preise und Mengen. Er betont: «Man könnte sich auch vorstellen, dass andere Hersteller in anderen Ländern diese Produkte herstellen.»
Man könnte sich auch vorstellen, dass andere Hersteller in anderen Ländern diese Produkte herstellen.
Pharmaindustrie wehrt sich
Dazu müssten die Patente ausser Kraft gesetzt werden. Aus Sicht der Pharmaindustrie ist das keine gute Idee. Dass jetzt schnell und unbürokratisch nach Corona-Wirkstoffen gesucht werde, sei nur möglich, weil es in der Vergangenheit Investitionen gegeben habe, sagt Thomas Cueni, Chef des internationalen Pharmaverbands: «Es ist das falsche Signal zum falschen Zeitpunkt, wenn man gerade jetzt das aussetzt, was uns geholfen hat, so rasch zu reagieren.»
Es ist das falsche Signal zum falschen Zeitpunkt, wenn man gerade jetzt das aussetzt, was uns geholfen hat, so rasch zu reagieren.
Die Pharma-Firmen würden sich von sich aus sozial verantwortlich verhalten. Indem sie zum Beispiel auf Profite verzichten wollten, freiwillig die Abgabe von Lizenzen in Aussicht stellten und sich an Spenden beteiligten, so Cueni.
Bund: falsches Zeichen
Dieser Meinung ist auch Felix Addor, stellvertretender Direktor des Eidgenössischen Instituts für Geistiges Eigentum und Mitglied des Strategieausschusses für Gesundheitsaussenpolitik: «Patentschutz ist ein wichtiger Faktor, damit Risikokapital in die Forschung fliesst. Das internationale Regelwerk über Patentschutz ausser Kraft zu setzen, wäre ein Schuss ins eigene Knie.»
Es gebe noch viele wichtige Probleme zu lösen wie Klimawandel, Armutsbekämpfung und Migration, so Addor. Es wäre nach seinen Worten das falsche Zeichen, immer wenn es hart auf hart gehe, internationale Rechtsregeln über Bord zu werfen. Dann sehe er schwarz, dass Probleme gemeinsam auf der Staatenebene gelöst werden könnten.
Das internationale Regelwerk über Patentschutz ausser Kraft zu setzen, wäre ein Schuss ins eigene Knie.
Erst stark werden, dann Patente schützen
Diese Haltung ist typisch für Industrien und Länder, die wirtschaftlich stark sind. Sie profitieren von Patenten und setzen darum auf deren Schutz. Das zeige sich in der Geschichte, sagt Historiker Tobias Straumann von der Universität Zürich: «Die Einführung eines Patentgesetzes hängt sehr stark davon ab, wie stark eine Industrie ist. Wenn sie noch nicht so stark ist und ausländisches Know-how braucht, ist der Widerstand gegen das Patentgesetz eher gross.»
Im 19. Jahrhundert hatte die Schweiz noch kein Patentsystem wie damals Grossbritannien, Frankreich und Deutschland. In der Schweiz kam die Wende erst gegen Anfang des 20. Jahrhunderts und in der Pharmaindustrie sogar noch etwas später als in anderen Branchen, wie Straumann sagt: «Solange man am Aufholen und interessiert war, ausländische Patente zu brauchen, hat man noch nicht so aufs Tempo gedrückt.»
Solange man am Aufholen und interessiert war, ausländische Patente zu brauchen, hat man noch nicht so aufs Tempo gedrückt.
Dass die Pharmaindustrie das Zepter nun nicht aus der Hand geben wolle, sei keine Absage an die internationale Solidarität, betonen Industrie wie auch der Bund. Aber es gebe bessere Instrumente. Etwa Zuschüsse an internationale Verteilorganisationen wie die kürzlich gegründete Covax, die Impfstoffe auch an arme Länder gerecht verteilen will.