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Prozess um Cum-Ex-Steuertricks Kritik an Zürcher Justiz aus Deutschland

Ab Dienstag steht ein Whistleblower wegen Wirtschaftsspionage vor Gericht – aus deutscher Sicht der falsche Angeklagte.

Vor dem Zürcher Bezirksgericht sitzt nebst dem Whistleblower, einem ehemaligen Sarasin-Kadermann, auch der Anwalt eines Sarasin-Kunden auf der Anklagebank. Der Whistleblower hatte dem Anwalt interne Dokumente geliefert – laut Anklage gegen Bezahlung. Der Whistleblower bestreitet dies.

Was ist passiert? 2011 vertrieb die Bank Sarasin Cum-Ex-Fonds an sehr vermögende deutsche Kunden – unter ihnen Erwin Müller, Gründer der gleichnamigen Drogeriekette.

Vereinfacht dargestellt wurden in diesen Fonds Aktien um den Dividendenstichtag so gehandelt, dass die Verrechnungssteuer mehrfach zurückgefordert werden konnte. Kurz: Der Steuerzahler bezahlte die Rendite der Fonds.

Sarsasin wusste um die heiklen Produkte

Als Drogerie-Unternehmer Erwin Müller einen Totalverlust erlitt, klagte er gegen die Bank wegen Falschberatung. Auch innerhalb der Bank wurde zunehmend Kritik an den Cum-Ex-Produkten laut. Und ein Gutachten, das die Bank Sarasin bei einer Anwaltskanzlei in Auftrag gegeben hatte und das «ECO» vorliegt, gab dem Drogerie-Unternehmer Recht.

Letztlich musste die Bank Sarasin Müller 56 Millionen Euro Schadenersatz bezahlen – aufgrund einer erfolgreichen Klage in Deutschland. Entscheidende Informationen hatte der Whistleblower geliefert, der unter anderem das interne Gutachten an Müllers Anwalt weitergegeben hatte.

Fall Sarasin wurde zum internationalen Steuerskandal

Das Weitergeben des internen Gutachtens hatte noch gewichtigere Folgen. Denn der Anwalt von Erwin Müller wandte sich mit den Dokumenten an das Bundesfinanzamt in Bonn. So wurde der Fall Sarasin zum gewaltigen Steuerskandal, weil ein System offenbar wurde, mit dem der Fiskus in vielen europäischen Ländern abgezockt wurde – auch in der Schweiz.

In der Folge ermitteln in ganz Europa Staatsanwaltschaften gegen Banken, Steuerberater und Rechtsanwälte. In einer koordinierten Aktion wurden im Herbst 2014 in 14 Ländern zeitgleich Hausdurchsuchugen koordiniert.

Einzig in der Schweiz erfolgten die Hausdurchsuchungen erst knapp zwei Wochen später – das zeigen Dokumente, die «ECO» vorliegen. Wichtige Unterlagen konnten so vor der Hausdurchsuchung beiseite geschafft werden, sagt ein Ermittler aus Deutschland.

Internationale Rechtshilfe offenbar verschleppt

Deutsche Staatsanwälte ermitteln gegen mehrere ehemalige Sarasin-Manager wegen Betrugs und stellten Rechtshilfegesuche an die Staatsanwaltschaft Zürich. Diese habe die Rechtshilfe verschleppt, so die Vorwürfe aus Deutschland.

Logo Sarasin.
Legende: Der Fall Sarasin offenbarte ein System, mit dem der Fiskus in vielen europäischen Ländern abgezockt wurde. Keystone

Die Zürcher Staatsanwaltschaft weist die Kritik zurück. Sie erklärt, dass im September 2018 sämtliche verfügbaren Unterlagen an die deutschen Behörden übergeben worden seien. Allerdings: Fast vierJahre nach der Hausdurchsuchung bei der Privatbank Sarasin.

Aus deutschen Ermittlerkreisen heisst es, auf die Einvernahmen der ehemaligen Sarasin-Manager warte Deutschland noch immer.

Hausdurchsuchungen nicht durchgeführt

Ausserdem wurden Hausdurchsuchungen, um die deutsche Ermittler in der Schweiz ersucht hatten, nicht durchgeführt. Unter anderem auch bei der Grossbank UBS, die – wie Dokumente, die «ECO» vorliegen, zeigen – als Brokerin für Sarasin-Fonds-Transaktionen tätig war.

«Nach Prüfung des Ersuchens wurde festgestellt, dass eine Hausdurchsuchung nicht verhältnismässig ist», schreibt die Zürcher Staatsanwaltschaft.

Prozess wird in Deutschland scharf beobachtet

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In Deutschland hat sich Cum-Ex zum handfesten Skandal ausgeweitet. Politiker von links bis rechts fordern eine lückenlose Aufklärung der Vorgänge bei der Schweizer Privatbank Sarasin und anderen Banken.

«Es ärgert mich», sagt Markus Herbrand, Steuerberater und Bundestagsabgeordneter der FDP. «Es sind viele Milliarden an Steuereinnahmen des deutschen Staates, die an anderer Stelle benötigt werden und dann auch von anderen bezahlt werden müssen.»

Für den Prozess in Zürich haben die deutschen Politiker wenig übrig. «Wenn man jetzt unter dem Deckmantel der Wirtschaftsspionage gegen den Whistleblower vorgeht, dann hat das für mich den Anschein, dass man die eigentlich Schuldigen und die eigentlich Kriminellen, die diese Geschäfte betrieben haben, eher deckt, als dass man der Aufklärung dient», sagt Lothar Binding, finanzpolitischer Sprecher der SPD.

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